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Energie & Management > Gas - DIW: Es geht noch dieses Jahr ohne russisches Gas
Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas

DIW: Es geht noch dieses Jahr ohne russisches Gas

Das Forschungsinstitut hält einen Ersatz russischen Erdgases in Deutschland schon zum Jahreswechsel für durchführbar. In den Szenarien einer Studie spielen auch Kohleblöcke eine Rolle.
Unter bestimmten Prämissen könnte Deutschland auch ein im Laufe des Jahres greifendes Embargo gegen russisches Erdgas oder eine russische Initiative, den Gashahn zuzudrehen, ohne größere Verwerfungen in der Industriebasis überleben. Dieses Fazit umfasse auch den Winter 2022/23, schrieb das gewerkschaftsnahe Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am 8. April, als es eine Kurzstudie zur sicheren Versorgung mit Erdgas im Zeichen des Ukrainekriegs vorstellte.

Der Bau fester Flüssigerdgas(LNG)-Terminals an der deutschen Küste für neue Gasbezugsquellen wäre allerdings angesichts des nationalen Klimaneutralitätsziels eine Fehlinvestition, so die Autorinnen Claudia Kemfert und Franziska Holz sowie die Autoren Christian von Hirschhausen und Robin Sogalla. Die von der Bundesregierung ins Auge gefassten schwimmenden LNG-Terminals (FSRU) böten sich dagegen an, da sie sich befristet leasen ließen.

Wie das Angebot zu erhöhen wäre

Die Autorinnen und Autoren des DIW setzen jeweils in Basis-, realistischen und optimistischen Szenarien auf einen Mix aus höherem Angebot aus nichtrussischen Gasquellen und Einsparungen − wobei sie einräumen, dass die Angebotsseite entscheidend sei. Die Steigerungspotenziale belaufen sich ihrer Einschätzung nach auf bis zu 37 Mrd. m3 für das gesamte laufende Jahr oder maximal 28 Mrd. m3 für das Restjahr, während Russland 2020 etwa 55 % des deutschen Verbrauchs von 87 Mrd. m3 deckte. Die Annahmen:
  • Norwegen kann im maximalen Szenario von diesem Monat an auch den Sommer hindurch so viel liefern, wie in die Pipelines nach Deutschland passt, also 3,51 Mrd. m3 pro Monat.
  • Realistischerweise müssen aber Abzüge für eine einmonatige Revision und für eine Verschiebung von 2 Mrd. m3 im Restjahr in die neue Baltic Pipe nach Polen gemacht werden.
  • Für den drittgrößten Exporteur Richtung Deutschland, Holland, wird im optimistischsten Szenario eine stetige Lieferung der größten Monatsmenge des Jahres 2021, knapp 2 Mrd. m3, angenommen. Doch das würde das Wiederhochfahren des Groningen-Gasfeldes bedingen, das eigentlich von Oktober an erdbebenbedingt nichts mehr exportieren sollte. Außerdem müssten die kleineren Felder (Small Fields) auf hohem Niveau produzieren, und das tun sie trotz beispiellos hohen Gaspreisen derzeit auch nicht. Diese realistischen Abstriche machen 40 % aus, führten aber trotzdem noch zu einem Lieferniveau wie noch 2021.
  • Deutschland würde mindestens die Hälfte der Kapazität im LNG-Terminal Rotterdam oder überhaupt die Terminals Zeebrugge und Dünkirchen nutzen, doch Benelux müsste ebenfalls russisches Gas durch LNG ersetzen.
  • Eine EU-weite effizientere Bewirtschaftung des Gasnetzes wäre "sofort umsetzbar", ist aber noch gar nicht einberechnet. Als Beispiel nennt das DIW virtuelle Umkehrflüsse mit LNG-Terminals in Südeuropa und mehr Pipelinegas aus Nordafrika für Deutschland.
Wie viel Gas wo einzusparen wäre

Die deutsche Gasnachfrage ließe sich noch in diesem Jahr von 85 (2020) auf 61 bis 76 Mrd. m3 reduzieren, je nach Szenario. Das sind 18 bis 26 %:
  • Gaskraftwerke ohne Wärmeauskopplung kommen überhaupt nicht mehr zum Einsatz, stattdessen unter anderem Kohleblöcke. 
  • Die Haushalte könnten durch weniger Heizen und eine Wärmepumpen-Offensive 15 % Gas sparen.
  • Ebenso die Industrie, und zwar vor allem durch einen Fuel Switch in der Prozesswärme-Erzeugung zu Kohle, Strom und Biomasse. Dies sei allerdings für Hochtemperatur-Prozesse "schwierig". 
  • Im "optimistischen" Industrie-Szenario lehnt sich das DIW an das Phase-2-Szenario der Denkfabrik Agora Energiewende an und kommt auf 33 % Nachfragereduktion. Das größte Einsparpotenzial sehen die Forschenden in der Chemie- und der Nahrungsmittelindustrie. In der chemischen Industrie ließen sich Vor- und Endprodukte teilweise importieren, statt sie hierzulande mit Erdgas herzustellen.
"Neues Gasspeichergesetz 2022 nicht umsetzbar"

Das neue gesetzliche Ziel der Speicherfüllstände von 80 % am 1. Oktober und von 90 % am 1. November ist selbst im optimistischen Nachfrageszenario des DIW nicht erreicht. 80 % seien bis Ende des Jahres zu schaffen, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Freitag, 8.04.2022, 16:05 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Gas - DIW: Es geht noch dieses Jahr ohne russisches Gas
Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas
DIW: Es geht noch dieses Jahr ohne russisches Gas
Das Forschungsinstitut hält einen Ersatz russischen Erdgases in Deutschland schon zum Jahreswechsel für durchführbar. In den Szenarien einer Studie spielen auch Kohleblöcke eine Rolle.
Unter bestimmten Prämissen könnte Deutschland auch ein im Laufe des Jahres greifendes Embargo gegen russisches Erdgas oder eine russische Initiative, den Gashahn zuzudrehen, ohne größere Verwerfungen in der Industriebasis überleben. Dieses Fazit umfasse auch den Winter 2022/23, schrieb das gewerkschaftsnahe Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am 8. April, als es eine Kurzstudie zur sicheren Versorgung mit Erdgas im Zeichen des Ukrainekriegs vorstellte.

Der Bau fester Flüssigerdgas(LNG)-Terminals an der deutschen Küste für neue Gasbezugsquellen wäre allerdings angesichts des nationalen Klimaneutralitätsziels eine Fehlinvestition, so die Autorinnen Claudia Kemfert und Franziska Holz sowie die Autoren Christian von Hirschhausen und Robin Sogalla. Die von der Bundesregierung ins Auge gefassten schwimmenden LNG-Terminals (FSRU) böten sich dagegen an, da sie sich befristet leasen ließen.

Wie das Angebot zu erhöhen wäre

Die Autorinnen und Autoren des DIW setzen jeweils in Basis-, realistischen und optimistischen Szenarien auf einen Mix aus höherem Angebot aus nichtrussischen Gasquellen und Einsparungen − wobei sie einräumen, dass die Angebotsseite entscheidend sei. Die Steigerungspotenziale belaufen sich ihrer Einschätzung nach auf bis zu 37 Mrd. m3 für das gesamte laufende Jahr oder maximal 28 Mrd. m3 für das Restjahr, während Russland 2020 etwa 55 % des deutschen Verbrauchs von 87 Mrd. m3 deckte. Die Annahmen:
  • Norwegen kann im maximalen Szenario von diesem Monat an auch den Sommer hindurch so viel liefern, wie in die Pipelines nach Deutschland passt, also 3,51 Mrd. m3 pro Monat.
  • Realistischerweise müssen aber Abzüge für eine einmonatige Revision und für eine Verschiebung von 2 Mrd. m3 im Restjahr in die neue Baltic Pipe nach Polen gemacht werden.
  • Für den drittgrößten Exporteur Richtung Deutschland, Holland, wird im optimistischsten Szenario eine stetige Lieferung der größten Monatsmenge des Jahres 2021, knapp 2 Mrd. m3, angenommen. Doch das würde das Wiederhochfahren des Groningen-Gasfeldes bedingen, das eigentlich von Oktober an erdbebenbedingt nichts mehr exportieren sollte. Außerdem müssten die kleineren Felder (Small Fields) auf hohem Niveau produzieren, und das tun sie trotz beispiellos hohen Gaspreisen derzeit auch nicht. Diese realistischen Abstriche machen 40 % aus, führten aber trotzdem noch zu einem Lieferniveau wie noch 2021.
  • Deutschland würde mindestens die Hälfte der Kapazität im LNG-Terminal Rotterdam oder überhaupt die Terminals Zeebrugge und Dünkirchen nutzen, doch Benelux müsste ebenfalls russisches Gas durch LNG ersetzen.
  • Eine EU-weite effizientere Bewirtschaftung des Gasnetzes wäre "sofort umsetzbar", ist aber noch gar nicht einberechnet. Als Beispiel nennt das DIW virtuelle Umkehrflüsse mit LNG-Terminals in Südeuropa und mehr Pipelinegas aus Nordafrika für Deutschland.
Wie viel Gas wo einzusparen wäre

Die deutsche Gasnachfrage ließe sich noch in diesem Jahr von 85 (2020) auf 61 bis 76 Mrd. m3 reduzieren, je nach Szenario. Das sind 18 bis 26 %:
  • Gaskraftwerke ohne Wärmeauskopplung kommen überhaupt nicht mehr zum Einsatz, stattdessen unter anderem Kohleblöcke. 
  • Die Haushalte könnten durch weniger Heizen und eine Wärmepumpen-Offensive 15 % Gas sparen.
  • Ebenso die Industrie, und zwar vor allem durch einen Fuel Switch in der Prozesswärme-Erzeugung zu Kohle, Strom und Biomasse. Dies sei allerdings für Hochtemperatur-Prozesse "schwierig". 
  • Im "optimistischen" Industrie-Szenario lehnt sich das DIW an das Phase-2-Szenario der Denkfabrik Agora Energiewende an und kommt auf 33 % Nachfragereduktion. Das größte Einsparpotenzial sehen die Forschenden in der Chemie- und der Nahrungsmittelindustrie. In der chemischen Industrie ließen sich Vor- und Endprodukte teilweise importieren, statt sie hierzulande mit Erdgas herzustellen.
"Neues Gasspeichergesetz 2022 nicht umsetzbar"

Das neue gesetzliche Ziel der Speicherfüllstände von 80 % am 1. Oktober und von 90 % am 1. November ist selbst im optimistischen Nachfrageszenario des DIW nicht erreicht. 80 % seien bis Ende des Jahres zu schaffen, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Freitag, 8.04.2022, 16:05 Uhr
Georg Eble

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