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Energie & Management > Gas -
Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas

"Die Zeit ist der kritische Faktor"

David Ledesma, der Leiter des Natural Gas Programme am Oxford Institute for Energy Studies, über Europas Möglichkeiten zum Ersatz russischen Gases.
E&M: Herr Ledesma, Sie sprechen von einem Paradigmenwechsel in den energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der EU. Wie meinen Sie das?

Ledesma: Mehr als 40 Jahre lang galt Russland für die EU als verlässlicher Versorger. Mit der Invasion in der Ukraine wurde das in Frage gestellt. Daher muss Europa versuchen, Gas und LNG (Flüssigerdgas; Anm. d. Red.) aus anderen Quellen zu bekommen. Das LNG kann nur aus anderen Märkten abgezogen werden. 

E&M: Bei einer Podiumsdiskussion auf der European Gas Conference am 21. März fragten Sie, wer die Gewinner und die Verlierer der neuen Situation seien. Was ist Ihre Antwort?

Ledesma: Die Verlierer könnten die Gaskunden in aller Welt sein, weil die Preise höher sein dürften als bisher. Es wird Preisspitzen geben, nicht nur in Europa, sondern auch anderswo. Mein Gaspreis in Großbritannien ist binnen einer Woche viermal gestiegen. Meine Jahresabrechnung wird nicht schön sein. Außerdem könnte durch die höheren Preise das Wirtschaftswachstum leiden. Und vergessen wir nicht: Auch Russland wird verlieren, weil sein Ansehen als zuverlässiger Versorger in Frage steht und es nicht mehr mit dem europäischen Absatzmarkt rechnen kann. 

E&M: Profitieren die USA? Sie versuchten ja, die Russen aus dem Markt zu drängen, um ihr LNG zu verkaufen.

Ledesma: Die US-Politiker betonen immer gerne die Verfügbarkeit von amerikanischem LNG für Europa. Aber nicht die US-Regierung verkauft das Gas, sondern die Unternehmen verkaufen es. Und für diese zählt die Wirtschaftlichkeit. Daher wird das US-LNG nur dann nach Europa kommen, wenn es dort Preise gibt, die gleich hoch oder höher sind als die auf anderen Märkten. 

E&M: Der Central European Gas Hub (CEGH) nordöstlich von Wien ist einer der wichtigsten Netzknoten, über die russisches Gas in die EU kommt. Wenn diese kein Gas mehr aus Russland bezieht, könnte seine Bedeutung schwinden.

Ledesma: Theoretisch ja. Aber praktisch ist und bleibt Österreich im Zentrum Europas. Und der CEGH hat zweifellos eine Schlüsselrolle bei der Gaspreisbildung. Ja, viel Gas, das am CEGH gehandelt wird, kommt über Pipelines dort an. Aber österreichische Händler sind auch im LNG-Geschäft tätig. Sie werden weiter über den CEGH auf dem internationalen Gasmarkt agieren.

E&M: Kann die EU auf russisches Gas verzichten? Eine Studie von Oxford Energy zum diesbezüglichen Sieben-Punkte-Plan der EU lässt das herausfordernd erscheinen.

Ledesma: Die Herausforderungen bestehen im Zeitplan und im politischen Willen. In der Gasbranche wird oft recht kurzfristig gedacht. Die Frage ist, ob diesmal auch langfristige Perspektiven zum Tragen kommen. Ich denke, das wird der Fall sein und die Politiker zwingen, den Plan durchzudrücken. Wir in Oxford erachten den Zeitfaktor als kritisch. Die EU will dieses Jahr 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas durch LNG ersetzen. Dann aber wird dieses LNG in asiatischen Ländern wie Japan fehlen, wenn die EU bereit ist, höhere Preise zu bezahlen. 

E&M: Wie geht es mit der Gasförderung in der EU weiter? Es gab Spekulationen um eine Produktionserhöhung im Groningen-Feld.

Ledesma: Groningen wird wegen der Erdbebengefahr stillgelegt. Ich habe nichts von einer Verlängerung des Zeitplans gehört. Die niederländische Gasunie (Ferngasnetzbetreiber, d. Red.) hat die rasche Genehmigung ihres LNG-Import-Terminals in Eemshaven bekannt gegeben, ebenso wie ihre Beteiligung am deutschen Terminal Brunsbüttel. Also wird LNG das Gas aus Groningen ersetzen. Natürlich dauern solche Projekte ihre Zeit. Wird heute ein Terminal genehmigt, dauert es fünf Jahre, um ihn zu bauen. 

E&M: Vor einigen Jahren wurde viel über Schiefergas-Vorhaben in Europa gesprochen. Umgesetzt ist bis heute nichts.

Ledesma: Viele dieser Projekte entstanden nach dem Erfolg von Schiefergas in den USA. Aber die Förderung ist in der EU schwieriger als dort. Da Europa nun neue Versorger sucht, tauchen alle möglichen Projekte wieder auf, die vor Zeiten überlegt und verworfen wurden, etwa Gasimporte aus dem Iran oder dem Irak. Aber all das braucht Zeit und Geld. 

E&M: Wie beurteilen Sie die Perspektiven für die energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland?

Ledesma: Seit knapp vier Wochen sind Russland und die Ukraine in einem Krieg, den niemand erwartete. Das ist eine Tragödie. Zurzeit lässt sich nur festhalten: Wenn von zwei benachbarten Ländern eines ein großer Versorger und das andere ein großer Kunde ist, gibt es immer Potenzial für Wirtschaftsbeziehungen. Aber zurzeit ist die Lage sehr schwierig. Ich kann nicht sagen, wie sie sich entwickelt.

Montag, 28.03.2022, 09:37 Uhr
Klaus Fischer
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Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas
"Die Zeit ist der kritische Faktor"
David Ledesma, der Leiter des Natural Gas Programme am Oxford Institute for Energy Studies, über Europas Möglichkeiten zum Ersatz russischen Gases.
E&M: Herr Ledesma, Sie sprechen von einem Paradigmenwechsel in den energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der EU. Wie meinen Sie das?

Ledesma: Mehr als 40 Jahre lang galt Russland für die EU als verlässlicher Versorger. Mit der Invasion in der Ukraine wurde das in Frage gestellt. Daher muss Europa versuchen, Gas und LNG (Flüssigerdgas; Anm. d. Red.) aus anderen Quellen zu bekommen. Das LNG kann nur aus anderen Märkten abgezogen werden. 

E&M: Bei einer Podiumsdiskussion auf der European Gas Conference am 21. März fragten Sie, wer die Gewinner und die Verlierer der neuen Situation seien. Was ist Ihre Antwort?

Ledesma: Die Verlierer könnten die Gaskunden in aller Welt sein, weil die Preise höher sein dürften als bisher. Es wird Preisspitzen geben, nicht nur in Europa, sondern auch anderswo. Mein Gaspreis in Großbritannien ist binnen einer Woche viermal gestiegen. Meine Jahresabrechnung wird nicht schön sein. Außerdem könnte durch die höheren Preise das Wirtschaftswachstum leiden. Und vergessen wir nicht: Auch Russland wird verlieren, weil sein Ansehen als zuverlässiger Versorger in Frage steht und es nicht mehr mit dem europäischen Absatzmarkt rechnen kann. 

E&M: Profitieren die USA? Sie versuchten ja, die Russen aus dem Markt zu drängen, um ihr LNG zu verkaufen.

Ledesma: Die US-Politiker betonen immer gerne die Verfügbarkeit von amerikanischem LNG für Europa. Aber nicht die US-Regierung verkauft das Gas, sondern die Unternehmen verkaufen es. Und für diese zählt die Wirtschaftlichkeit. Daher wird das US-LNG nur dann nach Europa kommen, wenn es dort Preise gibt, die gleich hoch oder höher sind als die auf anderen Märkten. 

E&M: Der Central European Gas Hub (CEGH) nordöstlich von Wien ist einer der wichtigsten Netzknoten, über die russisches Gas in die EU kommt. Wenn diese kein Gas mehr aus Russland bezieht, könnte seine Bedeutung schwinden.

Ledesma: Theoretisch ja. Aber praktisch ist und bleibt Österreich im Zentrum Europas. Und der CEGH hat zweifellos eine Schlüsselrolle bei der Gaspreisbildung. Ja, viel Gas, das am CEGH gehandelt wird, kommt über Pipelines dort an. Aber österreichische Händler sind auch im LNG-Geschäft tätig. Sie werden weiter über den CEGH auf dem internationalen Gasmarkt agieren.

E&M: Kann die EU auf russisches Gas verzichten? Eine Studie von Oxford Energy zum diesbezüglichen Sieben-Punkte-Plan der EU lässt das herausfordernd erscheinen.

Ledesma: Die Herausforderungen bestehen im Zeitplan und im politischen Willen. In der Gasbranche wird oft recht kurzfristig gedacht. Die Frage ist, ob diesmal auch langfristige Perspektiven zum Tragen kommen. Ich denke, das wird der Fall sein und die Politiker zwingen, den Plan durchzudrücken. Wir in Oxford erachten den Zeitfaktor als kritisch. Die EU will dieses Jahr 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas durch LNG ersetzen. Dann aber wird dieses LNG in asiatischen Ländern wie Japan fehlen, wenn die EU bereit ist, höhere Preise zu bezahlen. 

E&M: Wie geht es mit der Gasförderung in der EU weiter? Es gab Spekulationen um eine Produktionserhöhung im Groningen-Feld.

Ledesma: Groningen wird wegen der Erdbebengefahr stillgelegt. Ich habe nichts von einer Verlängerung des Zeitplans gehört. Die niederländische Gasunie (Ferngasnetzbetreiber, d. Red.) hat die rasche Genehmigung ihres LNG-Import-Terminals in Eemshaven bekannt gegeben, ebenso wie ihre Beteiligung am deutschen Terminal Brunsbüttel. Also wird LNG das Gas aus Groningen ersetzen. Natürlich dauern solche Projekte ihre Zeit. Wird heute ein Terminal genehmigt, dauert es fünf Jahre, um ihn zu bauen. 

E&M: Vor einigen Jahren wurde viel über Schiefergas-Vorhaben in Europa gesprochen. Umgesetzt ist bis heute nichts.

Ledesma: Viele dieser Projekte entstanden nach dem Erfolg von Schiefergas in den USA. Aber die Förderung ist in der EU schwieriger als dort. Da Europa nun neue Versorger sucht, tauchen alle möglichen Projekte wieder auf, die vor Zeiten überlegt und verworfen wurden, etwa Gasimporte aus dem Iran oder dem Irak. Aber all das braucht Zeit und Geld. 

E&M: Wie beurteilen Sie die Perspektiven für die energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland?

Ledesma: Seit knapp vier Wochen sind Russland und die Ukraine in einem Krieg, den niemand erwartete. Das ist eine Tragödie. Zurzeit lässt sich nur festhalten: Wenn von zwei benachbarten Ländern eines ein großer Versorger und das andere ein großer Kunde ist, gibt es immer Potenzial für Wirtschaftsbeziehungen. Aber zurzeit ist die Lage sehr schwierig. Ich kann nicht sagen, wie sie sich entwickelt.

Montag, 28.03.2022, 09:37 Uhr
Klaus Fischer

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