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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Die Politik diskutiert, die Wirtschaft handelt
Bild: Oliver Boehmer, Fotolia
E&M Vor 20 Jahren

Die Politik diskutiert, die Wirtschaft handelt

Heutzutage ist der börsliche Handel mit EU-Emissionsrechten fest etabliert. Vor 20 Jahren war das noch nicht abzusehen.
Der EU-Emissionshandel wurde im Jahr 2005 eingeführt, um das von der Gemeinschaft im Rahmen des Kyoto-Protokolls übernommene Emissionsminderungsziel zu erreichen. Während die Politik Anfang der 2000er Jahre noch um die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls rang, sammelte die Industrie bereits Erfahrungen mit flexiblen Klimaschutzinstrumenten. E&M Redakteur Fritz Wilhelm berichtete 2001 über die ersten Projekte und die Entwicklungen in Europa.
 
Ein liquider Handel mit CO2-Zertifikaten ist zwar noch nicht in Sicht, doch die Umweltökonomen sind sich einig: Der Handel mit Emissionslizenzen ist ein sehr effizienter Weg, die klimaschädlichen Treibhausgase einzuschränken.

Der Emissionshandel schafft einen Anreiz, Emissionen zu vermeiden oder dort zu investieren, wo für eine bestimmte Investitionssummer der größte Minderungserfolg zu erzielen ist. Diesem Ansatz liegt das Prinzip zugrunde, dass jeder Emittent die seinen Emissionen entsprechende Zahl an Lizenzen besitzen und entwerten muss.

Lizenzen, die das Recht verbriefen, eine bestimmte Menge innerhalb einer bestimmten Zeit zu emittieren, sind jedoch nicht die einzigen handelbaren Umweltzertifikate. „Derzeit wird auch noch der Handel mit Emissionsminderungen und grünen Zertifikaten diskutiert“, sagt Helmuth Großcurth. Der Leiter des „Energiekonzepts Zukunft“ bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) kann quasi aus dem Nähkästchen plaudern, denn sein Unternehmen hat bereits einen Pilothandel auf freiwilliger Basis mit der kanadischen Transalta abgeschlossen. Bei dem Geschäft ging es um 3.000 Tonnen CO2, die jährlich über einen Zeitraum bis 2007 durch den Einsatz von HEW-Windkraftanlagen eingespart werden.

„Die Motivation für diesen Abschluss lag zum einen in dem Interesse, Erfahrungen mit dem neuen Instrument zu sammeln, zum anderen darin, die Diskussion zu diesem Thema im jeweiligen Land voranzubringen“, begründet Großcurth das Engagement der beiden Vertragsparteien. Zwischen den Zeilen schimmert auch hindurch, dass wohl Image-Gründe auch eine Rolle gespielt haben. Schließlich kommt es in der Öffentlichkeit sehr gut an, wenn endlich jemand etwas gegen den Treibhauseffekt unternimmt, bevor ein Gesetz ihn zwingt, und wenn jemand nicht nur zusieht, wie sich Politiker von Absichtserklärung zu Absichtserklärung durchschlagen. Die Erklärung von Transalta, bis 2024 das Volumen der eigenen Treibhausgasemissionen auf Null zurückzufahren, passt in dieses Bild.
 
Berechnung der vermiedenen Emissionen ist problematisch
 
Über das finanzielle Volumen der Transaktion schweigen sich die Unternehmen aus. So viel kann Großcurth jedoch verraten: „Auf Nachfrage würde ein Broker derzeit einen Preisspanne von 0,5 bis zwei Dollar pro Tonne CO2 nennen.“

Die Kritik, HEW verkaufe einen Umweltnutzen, der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ohnehin gegeben sei, entgegnet Großcurth mit dem Hinweis auf eine freiwillige Einspeisevergütung. Zusätzlich zu den obligatorischen 17,8 Pf./kWh zahle HEW noch 10 Pf./kWh. Mit den unabhängigen Gutachtern, die die transatlantische Umweltvereinbarung überwachen, sei abgesprochen, dass die Emissionsminderungen der Windanlagen im Verhältnis der Einspeisevergütungen – also 10:17,8 – aufgeteilt werden. Damit kann HEW 36 % der CO2-Einsparungen „verkaufen“.

Um die vermiedenen Emissionen berechnen zu können, muss der Erzeugung in Windenergieanlagen ein Referenzszenario gegenübergestellt werden. Im aktuellen Beispiel ist dies der HEW-Kraftwerkspark. Großcurth räumt allerdings verbleibende Unsicherheiten bei der Berechnung der CO2-Minderungen ein. Die wärmegeführte Fahrweise von Kohleblöcken, der Einsatz von Spitzenlastkraftwerken oder besondere Stromabnahmeverträge machten die Erfolgsermittlung noch problematisch.

Abhilfe könnte der Handel mit Emissionslizenzen schaffen. In diesem Verfahren stellt die Ausgabe der Zertifikate die anspruchsvollste Aufgabe dar. Die Zuteilung kann über eine Versteigerung erfolgen, oder den Unternehmen werden die Emissionen eines bestimmten Stichtags als Anfangsausstattung zugestanden. Da beide Verfahren die verschiedensten Lobbyisten auf den Plan rufen, dürfte die Entscheidung für eine Ausgabeart erst nach einem zähen politischen Ringen fallen. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, welche Hürden dabei gerade auf multinationaler Ebene noch aus dem Weg zu räumen sind.

„Viele Augen richten sich derzeit gespannt auf die Entwicklung in Großbritannien“, beschreibt Nina Marenzi, Senior Analyst bei Natsource Tullett Europe in London, die derzeitige Situation. Im Vereinigten Königreich werden derzeit die Regeln für ein Handelssystem festgelegt, das Vorbildcharakter für einen europäischen Markt haben könnte. Ein formales nationales Kataster, in dem genau festgehalten wird, welche Unternehmen welche Emissionsrechte besitzen und welche Transaktionen durchgeführt wurden, wird im ersten Schritt entstehen.
 
Das Handelssystem in UK könnte Vorbildcharakter für europäischen Markt haben
 
Marenzi hält es für durchaus möglich, dass sogar Unternehmen am Handel teilnehmen werden, die keinen emissionsrelevanten Standort in Großbritannien haben. An Attraktivität beziehungsweise Liquidität dürfte es ihrer Ansicht nicht zuletzt auch deshalb nicht mangeln, weil die national ausgegebenen Lizenzen ihre Gültigkeit behalten werden, auch wenn die multinationalen Abkommen wie das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert werden.

Neben Großbritannien sind auch Dänemark und die Niederlande im Emissionshandel aktiv geworden. Dabei lässt die holländische Initiative bereits erste Anzeichen einer multinationalen Ausrichtung erkennen. Während die Dänen schon ein Handelssystem mit Emissionsobergrenzen für die heimischen Stromerzeuger etabliert haben, kauft die niederländische Regierung die aus verschiedenen Projekten in Osteuropa resultierenden Emissionsminderungen auf – im Rahmen von Joint Implementation.

Internationale Gespräche über die Schaffung eines länderübergreifenden Handelssystems seien im Gange, sagt Marenzi. Und langsam sei auch eine gemeinsame Richtung erkennbar. Doch noch stehen Emissionslizenzen und -minderungen ganz im Zeichen nationaler Alleingänge. Dass es dabei auch zu einem börslichen Emissionshandel kommen wird, bezweifelt Marcus Stronzik, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. „Auch wenn bereits in zahlreichen Modellrechnungen Reduktionspotenziale berechnet, Zertifikatspreise simuliert und mit Einschränkungen die gehandelten Mengen errechnet wurden, stehen noch zu viele Faktoren einem liquiden Börsenhandel entgegen“, so Stronzik.

Unter Annahme eines unbeschränkten Welthandels wird der überwiegende Teil der Emissionshandelstransaktionen vermutlich im Rahmen des Clean Development Mechanism ablaufen, also als Vermeidungsanstrengung in einem Entwicklungsland.
Börsenhandel? Fehlanzeige. Der Liberalisierungsprozess im Strommarkt lässt erahnen, dass erst ein klarer institutioneller Rahmen vorhanden sein muss, damit man überhaupt an einen liquiden Börsenhandel denken kann.
Wieder einmal hinkt die Politik dem Markt hinterher. Schließlich sieht das Kioto-Protokoll den Handel zwischen einzelnen Staaten vor. Die Initiative ergriffen haben aber einzelne Unternehmen.
 

Freitag, 2.07.2021, 10:24 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Die Politik diskutiert, die Wirtschaft handelt
Bild: Oliver Boehmer, Fotolia
E&M Vor 20 Jahren
Die Politik diskutiert, die Wirtschaft handelt
Heutzutage ist der börsliche Handel mit EU-Emissionsrechten fest etabliert. Vor 20 Jahren war das noch nicht abzusehen.
Der EU-Emissionshandel wurde im Jahr 2005 eingeführt, um das von der Gemeinschaft im Rahmen des Kyoto-Protokolls übernommene Emissionsminderungsziel zu erreichen. Während die Politik Anfang der 2000er Jahre noch um die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls rang, sammelte die Industrie bereits Erfahrungen mit flexiblen Klimaschutzinstrumenten. E&M Redakteur Fritz Wilhelm berichtete 2001 über die ersten Projekte und die Entwicklungen in Europa.
 
Ein liquider Handel mit CO2-Zertifikaten ist zwar noch nicht in Sicht, doch die Umweltökonomen sind sich einig: Der Handel mit Emissionslizenzen ist ein sehr effizienter Weg, die klimaschädlichen Treibhausgase einzuschränken.

Der Emissionshandel schafft einen Anreiz, Emissionen zu vermeiden oder dort zu investieren, wo für eine bestimmte Investitionssummer der größte Minderungserfolg zu erzielen ist. Diesem Ansatz liegt das Prinzip zugrunde, dass jeder Emittent die seinen Emissionen entsprechende Zahl an Lizenzen besitzen und entwerten muss.

Lizenzen, die das Recht verbriefen, eine bestimmte Menge innerhalb einer bestimmten Zeit zu emittieren, sind jedoch nicht die einzigen handelbaren Umweltzertifikate. „Derzeit wird auch noch der Handel mit Emissionsminderungen und grünen Zertifikaten diskutiert“, sagt Helmuth Großcurth. Der Leiter des „Energiekonzepts Zukunft“ bei den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) kann quasi aus dem Nähkästchen plaudern, denn sein Unternehmen hat bereits einen Pilothandel auf freiwilliger Basis mit der kanadischen Transalta abgeschlossen. Bei dem Geschäft ging es um 3.000 Tonnen CO2, die jährlich über einen Zeitraum bis 2007 durch den Einsatz von HEW-Windkraftanlagen eingespart werden.

„Die Motivation für diesen Abschluss lag zum einen in dem Interesse, Erfahrungen mit dem neuen Instrument zu sammeln, zum anderen darin, die Diskussion zu diesem Thema im jeweiligen Land voranzubringen“, begründet Großcurth das Engagement der beiden Vertragsparteien. Zwischen den Zeilen schimmert auch hindurch, dass wohl Image-Gründe auch eine Rolle gespielt haben. Schließlich kommt es in der Öffentlichkeit sehr gut an, wenn endlich jemand etwas gegen den Treibhauseffekt unternimmt, bevor ein Gesetz ihn zwingt, und wenn jemand nicht nur zusieht, wie sich Politiker von Absichtserklärung zu Absichtserklärung durchschlagen. Die Erklärung von Transalta, bis 2024 das Volumen der eigenen Treibhausgasemissionen auf Null zurückzufahren, passt in dieses Bild.
 
Berechnung der vermiedenen Emissionen ist problematisch
 
Über das finanzielle Volumen der Transaktion schweigen sich die Unternehmen aus. So viel kann Großcurth jedoch verraten: „Auf Nachfrage würde ein Broker derzeit einen Preisspanne von 0,5 bis zwei Dollar pro Tonne CO2 nennen.“

Die Kritik, HEW verkaufe einen Umweltnutzen, der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ohnehin gegeben sei, entgegnet Großcurth mit dem Hinweis auf eine freiwillige Einspeisevergütung. Zusätzlich zu den obligatorischen 17,8 Pf./kWh zahle HEW noch 10 Pf./kWh. Mit den unabhängigen Gutachtern, die die transatlantische Umweltvereinbarung überwachen, sei abgesprochen, dass die Emissionsminderungen der Windanlagen im Verhältnis der Einspeisevergütungen – also 10:17,8 – aufgeteilt werden. Damit kann HEW 36 % der CO2-Einsparungen „verkaufen“.

Um die vermiedenen Emissionen berechnen zu können, muss der Erzeugung in Windenergieanlagen ein Referenzszenario gegenübergestellt werden. Im aktuellen Beispiel ist dies der HEW-Kraftwerkspark. Großcurth räumt allerdings verbleibende Unsicherheiten bei der Berechnung der CO2-Minderungen ein. Die wärmegeführte Fahrweise von Kohleblöcken, der Einsatz von Spitzenlastkraftwerken oder besondere Stromabnahmeverträge machten die Erfolgsermittlung noch problematisch.

Abhilfe könnte der Handel mit Emissionslizenzen schaffen. In diesem Verfahren stellt die Ausgabe der Zertifikate die anspruchsvollste Aufgabe dar. Die Zuteilung kann über eine Versteigerung erfolgen, oder den Unternehmen werden die Emissionen eines bestimmten Stichtags als Anfangsausstattung zugestanden. Da beide Verfahren die verschiedensten Lobbyisten auf den Plan rufen, dürfte die Entscheidung für eine Ausgabeart erst nach einem zähen politischen Ringen fallen. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, welche Hürden dabei gerade auf multinationaler Ebene noch aus dem Weg zu räumen sind.

„Viele Augen richten sich derzeit gespannt auf die Entwicklung in Großbritannien“, beschreibt Nina Marenzi, Senior Analyst bei Natsource Tullett Europe in London, die derzeitige Situation. Im Vereinigten Königreich werden derzeit die Regeln für ein Handelssystem festgelegt, das Vorbildcharakter für einen europäischen Markt haben könnte. Ein formales nationales Kataster, in dem genau festgehalten wird, welche Unternehmen welche Emissionsrechte besitzen und welche Transaktionen durchgeführt wurden, wird im ersten Schritt entstehen.
 
Das Handelssystem in UK könnte Vorbildcharakter für europäischen Markt haben
 
Marenzi hält es für durchaus möglich, dass sogar Unternehmen am Handel teilnehmen werden, die keinen emissionsrelevanten Standort in Großbritannien haben. An Attraktivität beziehungsweise Liquidität dürfte es ihrer Ansicht nicht zuletzt auch deshalb nicht mangeln, weil die national ausgegebenen Lizenzen ihre Gültigkeit behalten werden, auch wenn die multinationalen Abkommen wie das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert werden.

Neben Großbritannien sind auch Dänemark und die Niederlande im Emissionshandel aktiv geworden. Dabei lässt die holländische Initiative bereits erste Anzeichen einer multinationalen Ausrichtung erkennen. Während die Dänen schon ein Handelssystem mit Emissionsobergrenzen für die heimischen Stromerzeuger etabliert haben, kauft die niederländische Regierung die aus verschiedenen Projekten in Osteuropa resultierenden Emissionsminderungen auf – im Rahmen von Joint Implementation.

Internationale Gespräche über die Schaffung eines länderübergreifenden Handelssystems seien im Gange, sagt Marenzi. Und langsam sei auch eine gemeinsame Richtung erkennbar. Doch noch stehen Emissionslizenzen und -minderungen ganz im Zeichen nationaler Alleingänge. Dass es dabei auch zu einem börslichen Emissionshandel kommen wird, bezweifelt Marcus Stronzik, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. „Auch wenn bereits in zahlreichen Modellrechnungen Reduktionspotenziale berechnet, Zertifikatspreise simuliert und mit Einschränkungen die gehandelten Mengen errechnet wurden, stehen noch zu viele Faktoren einem liquiden Börsenhandel entgegen“, so Stronzik.

Unter Annahme eines unbeschränkten Welthandels wird der überwiegende Teil der Emissionshandelstransaktionen vermutlich im Rahmen des Clean Development Mechanism ablaufen, also als Vermeidungsanstrengung in einem Entwicklungsland.
Börsenhandel? Fehlanzeige. Der Liberalisierungsprozess im Strommarkt lässt erahnen, dass erst ein klarer institutioneller Rahmen vorhanden sein muss, damit man überhaupt an einen liquiden Börsenhandel denken kann.
Wieder einmal hinkt die Politik dem Markt hinterher. Schließlich sieht das Kioto-Protokoll den Handel zwischen einzelnen Staaten vor. Die Initiative ergriffen haben aber einzelne Unternehmen.
 

Freitag, 2.07.2021, 10:24 Uhr
Fritz Wilhelm

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