E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung -
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

"Die entscheidenden Teile kommen aus Deutschland"

Die Türkei und Deutschland sind sich in Sachen Energieversorgung ähnlicher als man denkt. Beim Punkt Kernkraftwerk sind die Ansichten allerdings unterschiedlich. Ein Vor-Ort-Bericht.
Ankara, Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen. Treffen mit dem stellvertretenden Minister, Alparslan Bayraktar. Ein Mann Ende 40, leicht ergraut, smartes Auftreten, ausgestattet mit einem PH.D. Er begrüßt alle mit Handschlag und nimmt an dem großen Tisch Platz. „Sie sind also alle gekommen, weil sie etwas über unsere Energiepolitik, die Klimaschutzpolitik und Energiewende lernen wollen“, sagte er in einwandfreiem Englisch. Adressiert war das an die Handvoll deutschen Journalisten und Journalistinnen im Raum, die sich auf Einladung des türkischen Investitionsbüros über die Energieversorgung in der Türkei informierten. In dem nachfolgenden Gespräch zeigte sich: Die Türkei und Deutschland haben bei dem Thema mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst denken mag.

Wie Deutschland auch, hat die Türkei das Pariser Klimaabkommen mit dem 1,5-Grad-Ziel als maximalen Wert der globalen Klimaerwärmung ratifiziert. Darin hat das Land am Bosporus das Ziel ausgegeben, bis 2053 klimaneutral zu wirtschaften. Für den stellvertretenden Energieminister eine „riesige Herausforderung“. Die Türkei will aber nicht nur kein CO2 mehr emittieren. Sie will sich so weit wie möglich unabhängig machen von ausländischen Energieimporten. Für dieses Ziel steht gar nicht so sehr das nationale Ego im Mittelpunkt sondern das Geld. Die höchsten Überweisungen der Türkei ins Ausland gehen an Drittstaaten für die Begleichung der Rechnungen für den Kauf von Öl, Gas und Kohle.
 
Alparslan Bayraktar, stellvertretender türkischer Energieminister
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister


Die Strategie der türkischen Regierung, klimaneutral und weniger abhängig von Energieimporten zu werden, ist in Teilen vergleichbar mit den deutschen Bemühungen – allerdings gibt es einen, aber doch wesentlichen Unterschied. Die Strategie der Türkei fuße auf drei Säulen, sagte Bayraktar: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Atomkraft. Kernkraftwerke werden dabei in der Türkei als Voraussetzung angesehen, um die Grundlast im Land zu decken. „Ich weiß, wir stehen dazu im Gegensatz zur deutschen Haltung. Aber wenn wir es ernst meinen, mit unserem Null-Emissionsziel, dann ist Kernenergie für die türkische Energieversorgung essenziell.“

2024 geht das erste türkische Atomkraftwerk dauerhaft ans Netz

Bislang hängt kein Kernkraftwerk am türkischen Stromnetz, doch das wird sich ändern. Im kommenden Jahr soll das an der Mittelmeerküste gelegene Atomkraftwerk Akkuyu Strom produzieren. Gebaut wird die Anlage rund 200 Kilometer östlich von Alanya von der russischen Firma Rosatom. Im Mai soll die Befüllung mit russischen Brennstäben erfolgen, so der stellvertretende Minister, und dann Stück um Stück getestet und hochgefahren werden, bis die 1.200 MW Leistung erreicht ist. In den kommenden Jahren sollen drei weitere Blöcke entstehen, auf insgesamt auf 4.800 MW Leistung soll der Standort im Endausbau kommen.

Und das soll nicht das Ende der Säule Kernkraft sein. Insgesamt will die türkische Regierung nukleare Anlagen mit rund 20.000 MW Leistung bis 2053 errichten. Im Gespräch sind dabei auch sogenannte SMR, Small Modular Reactors. Sie sind mit einer Leistung zwischen 400 und 500 MW kleiner und handlicher als große Reaktoren. Vor allem die USA sind in der Entwicklung ganz vorne mit dabei. Durch eine modulare Bauweise verspricht man sich Kosteneffekte. Gleichwohl: Ausgereift sind die SMR bei weitem nicht.

Wie Bayraktar ausführte, sei für die Türkei auch die Energieeffizienz eine wichtige Säule, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. In den Jahren 2017 bis 2023 sei einer erster Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz umgesetzt worden, aktuell arbeite man an einem weiteren Aktionsplan bis zum Jahr 2030. „Dieser Plan umfasst nicht nur die Stromversorgung, sondern auch die Bereiche Industrie, Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr.“ Es soll nicht zynisch klingen, sagte der Minister, aber die Aufbauarbeiten im Zuge des Erdbebens böte auch eine Chance, smarte Infrastrukturen in den zerstörten Gebieten aufzubauen.

Was den Strombedarf angeht, deckt die Türkei, vergleichbar wie in Deutschland, diesen zu rund 50 Prozent aus erneuerbaren Energien, das meiste davon aus Wasserkraft. Der Anteil der Erneuerbaren soll vor allem in den Bereichen Wind und PV aber kräftig steigen. Bei der Photovoltaik will das Land im Jahr 2053 an die 150.000 MW installiert haben, aktuell sind es 9.000 MW. Das bedeutet in den kommenden Jahren jährlich einen Zubau von rund 5.000 MW an PV-Leistung. Zum Vergleich: Deutschland will bis 2030 eine Photovoltaikleistung mit 215.000 MW am Netz haben, Ende 2022 waren es 65.000 MW installierter Leistung.

Aufbau einer heimischen PV-Fertigung kostet viel Geld

Um seinem Ziel näher zu kommen, baut die Türkei eine eigene PV-Fertigung auf. In der Nähe von Ankara ist das bereits gelungen. Dort produzieren seit rund zwei Jahren 2.500 Mitarbeiter PV-Module mit einem Ausstoß von 2.000 MW im Jahr. Das Werk ist zu 100 Prozent im Besitz des türkischen Mischkonzerns Kalyon. Allerdings: Konzipiert wurde die Fabrik von chinesischen Experten, die Fertigungsstraßen kommen ebenfalls komplett aus China. „Es ist bekannt, dass China den Markt für PV-Module dominiert“, sagte der CEO der Fabrik Ersan Tüfekci bei einem Ortstermin.
 
Die PV-Fabrik in der Nähe von Ankara
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister

Die Chinesen lassen sich ihr Know-how gut bezahlen. Der Bau der Anlage habe rund 100 Millionen Euro gekostet, nach China seien aber rund 475 Millionen Euro überwiesen worden, sagte CEO Tüfekci. Wird eine Fertigungsstraße erweitert, kommen die Maschinen ebenfalls aus China. Den Türken bleibt die Wartung der Maschinen und die Produktion und der Verkauf der Module, die bislang vollständig in der Türkei abgesetzt werden.

Um sich Zug um Zug das Know-how für die eigenen PV-Fertigung anzueignen, baut das Unternehmen eine eigene Forschungsabteilung auf. In der „Kalyon Solar Academy“ sollen einmal bis zu 3.000 PV-Ingenieure ausgebildet werden. Für Tüfekci ist die Fabrik rund 50 Kilometer von Ankara deshalb mehr als nur eine große PV-Fabrik, sie ist das „türkische Leuchtturmprojekt“ in Sachen eigener PV-Fertigung.

Die Türkei ist ein großes Land und hat viel Platz, auch für Windräder. Sie soll ein weiteres Standbein bei der Stromerzeugung werden. 90.000 MW will die Türkei bis 2053 an eigener Leistung aufbauen. Aktuell drehen sich Windkraftanlagen mit 11.000 MW Leistung. Die Türkei produziert Windanlagen im eigenen Land. Aber wie bei der PV stellte sich vor Ort heraus, dass das Land nur die verlängerte Werkbank von anderen ist – obwohl fast alle Komponenten in der Türkei gefertigt werden.

Das Zentrum der türkischen Windindustrie befindet sich in Izmir an der Mittelmeerküste. Dort lässt Enercon über seine Tochterfirma Aero Rüzgar Endüstrisi die Rotorblätter und bei weiteren Zuliefern die Generatoren und Türme für seine Windkraftanlagen fertigen. Das Unternehmen aus Aurich in Nordfriesland ist seit 1998 in der Türkei tätig. Erst wurde die in der Türkei produzierten Teile ausschließlich für den Export produziert, seit 2005 werden auch Enercon-Maschinen im Inland aufgestellt.

Windindustrie fertigt für Dritte

Eine Besichtigung des Werks in der Nähe von Izmir, wo die Generatoren und die Türme für die Enercon-Anlagen hergestellt werden. Rund 700 Mitarbeitende sind dort beschäftigt. Betrieben wird das Werk von Ates Wind Power, einem Unternehmen das zwei türkischen Brüdern gehört. Dort werden nicht nur für Enercon, sondern auch für andere Windkraftanbieter wie Vestas oder Siemens Gamesa Komponenten gefertigt. Obwohl der Bau eines Generators reine Handarbeit ist und Toleranzen von nur wenigen Millimetern bei einem Gewicht von 50 Tonnen beherrscht werden müssen, sind die Fabriken reine Fertigungshallen für Dritte.

Warum? Erman Erek, stellvertretender Leiter der Generatorherstellung bei Ates: Man sei schlicht nicht in der Lage, selbst alle Komponenten für eine Windanlage zu entwickeln und herzustellen. Um ein eigenes Windrad zu entwickeln, fehle den Türken das Know-how und die entsprechenden Köpfe. „Die entscheidenden Teile für eine Enercon-Maschine kommen immer noch aus Deutschland“, sagte Erek im Rahmen der Besichtigung. In einem Windrad stecke doch eine Menge Hightech.

 
Die Generatorenfertigung eines Windrades ist Hand- und Maßarbeit
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister

Zurück nach Ankara zum Minister. Durch die Türkei verlaufen einige große Erdgaspipelines. Diese transportieren Erdgas aus Russland, aus Aserbaidschan aber auch dem Iran in die Türkei. Über die Transanatolische Pipeline, kurz Tanap, wird Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa geleitet. An der griechischen Grenze wird das Erdgas an die Trans-Adria-Pipeline (Tap) übergeben, wo das Erdgas bis nach Italien transportiert wird.

Türkei will Erdgashub für Europa werden

Die Türkei will ihre Stellung als Erdgashub nach Europa ausbauen, sagte der stellvertretenden Minister, Alparslan Bayraktar. Vor allem im Zuge des Ausfalls der russischen Erdgaslieferungen nach Europa aufgrund des Ukrainekrieges könnte die türkischen Pipelines helfen, die fehlenden Menge zumindest in Teilen zu kompensieren. Wie er sagte, sei die Tanap mit einer jährlichen Durchflussmenge von rund 15 Mrd. Kubikmeter nur zur Hälfte ausgelastet und auch in der Tap sei noch Platz für mehr Mengen Richtung Europa. Die zusätzlichen Erdgasmengen könnten aus Aserbaidschan kommen, aber auch über die kaspische Menge aus Turkmenistan oder gar dem Irak.

Obwohl das Angebot zum Ersatz von russischem Erdgas verlocken klingt, wird die Umsetzung nicht einfach werden. Aserbaidschan wird in Europa als autoritärer Staat angesehen und ob alle Anrainer-Staaten am Kaspischen Meer – einschließlich Russland – dem Bau einer Erdgaspipeline für den Transport von Erdgas nach Europa gut finden und zustimmen, ist in höchsten Maßen zu bezweifeln. Gleichwohl ist der Minister, wie viele Politiker, Optimist. Die Bedenken aus Europa sehe und kenne er durchaus, aber mit ein wenig guten Willen, lassen sich die Probleme schon lösen.
 
Kennzahlen der türkischen Energieversorgung:
Installierte Kraftwerkskapazität: 103.500 MW davon
30,5 % Wasserkraft
24,4 % Erdgas
21,1 % Kohle
11 % Windenergie
9 % PV Sonnenenergie
1,6 % Geothermie
2,4 % sonstige Energiequellen
Quelle: TEIAS, Stand Dezember 2022
 
Ziele CO2-freie Erzeugung 2053:
90.000 MW Wind
150.000 MW Solar
20.000 MW Kernenergie
Quelle: Türkisches Energieministerium

Mittwoch, 10.05.2023, 09:30 Uhr
Stefan Sagmeister
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung -
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
"Die entscheidenden Teile kommen aus Deutschland"
Die Türkei und Deutschland sind sich in Sachen Energieversorgung ähnlicher als man denkt. Beim Punkt Kernkraftwerk sind die Ansichten allerdings unterschiedlich. Ein Vor-Ort-Bericht.
Ankara, Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen. Treffen mit dem stellvertretenden Minister, Alparslan Bayraktar. Ein Mann Ende 40, leicht ergraut, smartes Auftreten, ausgestattet mit einem PH.D. Er begrüßt alle mit Handschlag und nimmt an dem großen Tisch Platz. „Sie sind also alle gekommen, weil sie etwas über unsere Energiepolitik, die Klimaschutzpolitik und Energiewende lernen wollen“, sagte er in einwandfreiem Englisch. Adressiert war das an die Handvoll deutschen Journalisten und Journalistinnen im Raum, die sich auf Einladung des türkischen Investitionsbüros über die Energieversorgung in der Türkei informierten. In dem nachfolgenden Gespräch zeigte sich: Die Türkei und Deutschland haben bei dem Thema mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst denken mag.

Wie Deutschland auch, hat die Türkei das Pariser Klimaabkommen mit dem 1,5-Grad-Ziel als maximalen Wert der globalen Klimaerwärmung ratifiziert. Darin hat das Land am Bosporus das Ziel ausgegeben, bis 2053 klimaneutral zu wirtschaften. Für den stellvertretenden Energieminister eine „riesige Herausforderung“. Die Türkei will aber nicht nur kein CO2 mehr emittieren. Sie will sich so weit wie möglich unabhängig machen von ausländischen Energieimporten. Für dieses Ziel steht gar nicht so sehr das nationale Ego im Mittelpunkt sondern das Geld. Die höchsten Überweisungen der Türkei ins Ausland gehen an Drittstaaten für die Begleichung der Rechnungen für den Kauf von Öl, Gas und Kohle.
 
Alparslan Bayraktar, stellvertretender türkischer Energieminister
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister


Die Strategie der türkischen Regierung, klimaneutral und weniger abhängig von Energieimporten zu werden, ist in Teilen vergleichbar mit den deutschen Bemühungen – allerdings gibt es einen, aber doch wesentlichen Unterschied. Die Strategie der Türkei fuße auf drei Säulen, sagte Bayraktar: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Atomkraft. Kernkraftwerke werden dabei in der Türkei als Voraussetzung angesehen, um die Grundlast im Land zu decken. „Ich weiß, wir stehen dazu im Gegensatz zur deutschen Haltung. Aber wenn wir es ernst meinen, mit unserem Null-Emissionsziel, dann ist Kernenergie für die türkische Energieversorgung essenziell.“

2024 geht das erste türkische Atomkraftwerk dauerhaft ans Netz

Bislang hängt kein Kernkraftwerk am türkischen Stromnetz, doch das wird sich ändern. Im kommenden Jahr soll das an der Mittelmeerküste gelegene Atomkraftwerk Akkuyu Strom produzieren. Gebaut wird die Anlage rund 200 Kilometer östlich von Alanya von der russischen Firma Rosatom. Im Mai soll die Befüllung mit russischen Brennstäben erfolgen, so der stellvertretende Minister, und dann Stück um Stück getestet und hochgefahren werden, bis die 1.200 MW Leistung erreicht ist. In den kommenden Jahren sollen drei weitere Blöcke entstehen, auf insgesamt auf 4.800 MW Leistung soll der Standort im Endausbau kommen.

Und das soll nicht das Ende der Säule Kernkraft sein. Insgesamt will die türkische Regierung nukleare Anlagen mit rund 20.000 MW Leistung bis 2053 errichten. Im Gespräch sind dabei auch sogenannte SMR, Small Modular Reactors. Sie sind mit einer Leistung zwischen 400 und 500 MW kleiner und handlicher als große Reaktoren. Vor allem die USA sind in der Entwicklung ganz vorne mit dabei. Durch eine modulare Bauweise verspricht man sich Kosteneffekte. Gleichwohl: Ausgereift sind die SMR bei weitem nicht.

Wie Bayraktar ausführte, sei für die Türkei auch die Energieeffizienz eine wichtige Säule, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. In den Jahren 2017 bis 2023 sei einer erster Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz umgesetzt worden, aktuell arbeite man an einem weiteren Aktionsplan bis zum Jahr 2030. „Dieser Plan umfasst nicht nur die Stromversorgung, sondern auch die Bereiche Industrie, Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr.“ Es soll nicht zynisch klingen, sagte der Minister, aber die Aufbauarbeiten im Zuge des Erdbebens böte auch eine Chance, smarte Infrastrukturen in den zerstörten Gebieten aufzubauen.

Was den Strombedarf angeht, deckt die Türkei, vergleichbar wie in Deutschland, diesen zu rund 50 Prozent aus erneuerbaren Energien, das meiste davon aus Wasserkraft. Der Anteil der Erneuerbaren soll vor allem in den Bereichen Wind und PV aber kräftig steigen. Bei der Photovoltaik will das Land im Jahr 2053 an die 150.000 MW installiert haben, aktuell sind es 9.000 MW. Das bedeutet in den kommenden Jahren jährlich einen Zubau von rund 5.000 MW an PV-Leistung. Zum Vergleich: Deutschland will bis 2030 eine Photovoltaikleistung mit 215.000 MW am Netz haben, Ende 2022 waren es 65.000 MW installierter Leistung.

Aufbau einer heimischen PV-Fertigung kostet viel Geld

Um seinem Ziel näher zu kommen, baut die Türkei eine eigene PV-Fertigung auf. In der Nähe von Ankara ist das bereits gelungen. Dort produzieren seit rund zwei Jahren 2.500 Mitarbeiter PV-Module mit einem Ausstoß von 2.000 MW im Jahr. Das Werk ist zu 100 Prozent im Besitz des türkischen Mischkonzerns Kalyon. Allerdings: Konzipiert wurde die Fabrik von chinesischen Experten, die Fertigungsstraßen kommen ebenfalls komplett aus China. „Es ist bekannt, dass China den Markt für PV-Module dominiert“, sagte der CEO der Fabrik Ersan Tüfekci bei einem Ortstermin.
 
Die PV-Fabrik in der Nähe von Ankara
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister

Die Chinesen lassen sich ihr Know-how gut bezahlen. Der Bau der Anlage habe rund 100 Millionen Euro gekostet, nach China seien aber rund 475 Millionen Euro überwiesen worden, sagte CEO Tüfekci. Wird eine Fertigungsstraße erweitert, kommen die Maschinen ebenfalls aus China. Den Türken bleibt die Wartung der Maschinen und die Produktion und der Verkauf der Module, die bislang vollständig in der Türkei abgesetzt werden.

Um sich Zug um Zug das Know-how für die eigenen PV-Fertigung anzueignen, baut das Unternehmen eine eigene Forschungsabteilung auf. In der „Kalyon Solar Academy“ sollen einmal bis zu 3.000 PV-Ingenieure ausgebildet werden. Für Tüfekci ist die Fabrik rund 50 Kilometer von Ankara deshalb mehr als nur eine große PV-Fabrik, sie ist das „türkische Leuchtturmprojekt“ in Sachen eigener PV-Fertigung.

Die Türkei ist ein großes Land und hat viel Platz, auch für Windräder. Sie soll ein weiteres Standbein bei der Stromerzeugung werden. 90.000 MW will die Türkei bis 2053 an eigener Leistung aufbauen. Aktuell drehen sich Windkraftanlagen mit 11.000 MW Leistung. Die Türkei produziert Windanlagen im eigenen Land. Aber wie bei der PV stellte sich vor Ort heraus, dass das Land nur die verlängerte Werkbank von anderen ist – obwohl fast alle Komponenten in der Türkei gefertigt werden.

Das Zentrum der türkischen Windindustrie befindet sich in Izmir an der Mittelmeerküste. Dort lässt Enercon über seine Tochterfirma Aero Rüzgar Endüstrisi die Rotorblätter und bei weiteren Zuliefern die Generatoren und Türme für seine Windkraftanlagen fertigen. Das Unternehmen aus Aurich in Nordfriesland ist seit 1998 in der Türkei tätig. Erst wurde die in der Türkei produzierten Teile ausschließlich für den Export produziert, seit 2005 werden auch Enercon-Maschinen im Inland aufgestellt.

Windindustrie fertigt für Dritte

Eine Besichtigung des Werks in der Nähe von Izmir, wo die Generatoren und die Türme für die Enercon-Anlagen hergestellt werden. Rund 700 Mitarbeitende sind dort beschäftigt. Betrieben wird das Werk von Ates Wind Power, einem Unternehmen das zwei türkischen Brüdern gehört. Dort werden nicht nur für Enercon, sondern auch für andere Windkraftanbieter wie Vestas oder Siemens Gamesa Komponenten gefertigt. Obwohl der Bau eines Generators reine Handarbeit ist und Toleranzen von nur wenigen Millimetern bei einem Gewicht von 50 Tonnen beherrscht werden müssen, sind die Fabriken reine Fertigungshallen für Dritte.

Warum? Erman Erek, stellvertretender Leiter der Generatorherstellung bei Ates: Man sei schlicht nicht in der Lage, selbst alle Komponenten für eine Windanlage zu entwickeln und herzustellen. Um ein eigenes Windrad zu entwickeln, fehle den Türken das Know-how und die entsprechenden Köpfe. „Die entscheidenden Teile für eine Enercon-Maschine kommen immer noch aus Deutschland“, sagte Erek im Rahmen der Besichtigung. In einem Windrad stecke doch eine Menge Hightech.

 
Die Generatorenfertigung eines Windrades ist Hand- und Maßarbeit
Quelle: E&M / Stefan Sagmeister

Zurück nach Ankara zum Minister. Durch die Türkei verlaufen einige große Erdgaspipelines. Diese transportieren Erdgas aus Russland, aus Aserbaidschan aber auch dem Iran in die Türkei. Über die Transanatolische Pipeline, kurz Tanap, wird Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa geleitet. An der griechischen Grenze wird das Erdgas an die Trans-Adria-Pipeline (Tap) übergeben, wo das Erdgas bis nach Italien transportiert wird.

Türkei will Erdgashub für Europa werden

Die Türkei will ihre Stellung als Erdgashub nach Europa ausbauen, sagte der stellvertretenden Minister, Alparslan Bayraktar. Vor allem im Zuge des Ausfalls der russischen Erdgaslieferungen nach Europa aufgrund des Ukrainekrieges könnte die türkischen Pipelines helfen, die fehlenden Menge zumindest in Teilen zu kompensieren. Wie er sagte, sei die Tanap mit einer jährlichen Durchflussmenge von rund 15 Mrd. Kubikmeter nur zur Hälfte ausgelastet und auch in der Tap sei noch Platz für mehr Mengen Richtung Europa. Die zusätzlichen Erdgasmengen könnten aus Aserbaidschan kommen, aber auch über die kaspische Menge aus Turkmenistan oder gar dem Irak.

Obwohl das Angebot zum Ersatz von russischem Erdgas verlocken klingt, wird die Umsetzung nicht einfach werden. Aserbaidschan wird in Europa als autoritärer Staat angesehen und ob alle Anrainer-Staaten am Kaspischen Meer – einschließlich Russland – dem Bau einer Erdgaspipeline für den Transport von Erdgas nach Europa gut finden und zustimmen, ist in höchsten Maßen zu bezweifeln. Gleichwohl ist der Minister, wie viele Politiker, Optimist. Die Bedenken aus Europa sehe und kenne er durchaus, aber mit ein wenig guten Willen, lassen sich die Probleme schon lösen.
 
Kennzahlen der türkischen Energieversorgung:
Installierte Kraftwerkskapazität: 103.500 MW davon
30,5 % Wasserkraft
24,4 % Erdgas
21,1 % Kohle
11 % Windenergie
9 % PV Sonnenenergie
1,6 % Geothermie
2,4 % sonstige Energiequellen
Quelle: TEIAS, Stand Dezember 2022
 
Ziele CO2-freie Erzeugung 2053:
90.000 MW Wind
150.000 MW Solar
20.000 MW Kernenergie
Quelle: Türkisches Energieministerium

Mittwoch, 10.05.2023, 09:30 Uhr
Stefan Sagmeister

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.