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Thema auf den „Berliner Energietagen“ war auch die drohende Aufteilung Deutschlands in Gebotszonen. Die Diskutanten waren sich nicht einig, ob dies nötig ist und wie schädlich es wäre.
Die deutsche Stromgebotszone war heiß diskutiert auf der Online-Veranstaltung „Berliner Energietage“ am 18. April. In Europa wird Strom in Gebotszonen gehandelt. Derzeit bildet Deutschland eine eigene und schließt Luxemburg mit ein. Für den Handel mit Strom von Erzeuger zu Verbraucher fließt der Strom in der Marktfiktion ungehindert und in jeder Menge. In der Realität genügen jedoch dafür die Stromleitungen nicht. Besonders durch den starken Ausbau von erneuerbaren Anlagen wie Windkraft im Norden Deutschlands und den Sitz der größten Verbraucher im Süden kommt es häufig zu Engpässen.
Im Moment müssen dann Windkraftanlagen abgeschaltet werden und im Süden zusätzlich Kraftwerke zumeist mit fossilen Brennstoffen laufen. Die Kosten für diesen „Redispatch“ beliefen sich laut Peter Scheerer, Experte für europäische Energiepolitik der Transnet BW, im Jahr 2022 auf 4,4
Milliarden Euro und 2023 noch auf 3
Milliarden Euro. Bezahlt wird dies über die Netzentgelte aller Verbraucher. Der offensichtliche Ausweg ist der Ausbau der Stromnetze, der aber um Jahre hinter seinen Zielen hinterherhinkt.
Ringflüsse stören die NachbarländerPhysikalisch führt das Überangebot im deutschen Netz zu Ausweichströmen über die Netze der Nachbarländer, sogenannte Loops oder Ringflüsse. Im Juni dieses Jahres werde Acer einen Bericht über die Höhe der wirtschaftlichen Schäden dieser Loops vorlegen. Deutscher Billigstrom im Netz behindert zuweilen die Erträge ausländischer Stromerzeuger.
Wegen der Ringflüsse wurden die Gebotszonen seit 2022 Thema eines „Bidding Zone Reviews“. In diesem Prozess arbeiten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber mit ihrem Verband Entso-E, den Regulierern, der europäischen Energieagentur Acer und der Öffentlichkeit zusammen, um zu ermitteln, wo genau die Gebotszonengrenzen liegen sollten. Der abschließende Bericht ist für das Ende dieses Jahres geplant.
Viele Varianten der Teilung diskutiertNeben der Möglichkeit, dass die deutsche Gebotszone bleibt, wie sie ist, sind vier alternative Konfigurationen ebenfalls Prüfungsgegenstand, erläuterte Scheerer. Diese reichen von einem simplen Schnitt zwischen Nord und Süd bis zu ganz neuen Gebotszonen mit jeweils Teilen der Nachbarnetze. Sollten sich die Staaten am Ende nicht einig sein, muss die Europäische Kommission entscheiden. Die wesentliche Folge einer Anpassung der Gebotszonen wären separate Märkte und separate Preise.
Wie schlimm das wäre, dazu gingen die Meinungen in der Diskussion stark auseinander. Einerseits fielen weniger Redispatch-Kosten an. Stattdessen müssten Unternehmen, die Energie von Nord nach Süd importieren wollen, ein Engpassentgelt zahlen, was den Strom im Süden teurer macht. Laut Studien der Aurora Energy Research betrüge der Unterschied aber nur etwa 1
Cent/kWh, führte Senior Associate Nicolas Leicht aus. Das müsse möglicherweise staatlich ausgeglichen werden, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden.
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Möglicher Zuschnitt deutscher Strompreiszonen mit Vor- und Nachteilen (zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken) Quelle: Aurora Energy Research |
Strompreis nicht alleiniges StandortkriteriumBernd Weber, Gründer und Geschäftsführer des Thinktanks Epico Klimainnovation gab zu bedenken, „dass die Energiepreise nicht das einzige Standortkriterium sind“. Rohstofflieferungen, Fachkräfte und Abnehmer seien ebenfalls wichtig. So glaube er nicht, dass ein Unternehmen von Süddeutschland in den Norden umzieht, um Stromkosten zu sparen. Allerdings könne der Strompreis für die Neuansiedlung von Unternehmen ein Kriterium sein. Er schlug vor, andere Mittel für die Regulierung der sicheren Stromversorgung zu erschließen. Dazu gehörten flexible Preise je nach Netzbelastung und die stärkere Erschließung regionaler Flexibilitäten zwischen Erzeugung und Verbrauch. Dazu aber müsse das deutsche Marktdesign verändert werden.
Dies unterstützte Matthias Stark, Leiter Fachbereich für erneuerbare Energiesysteme beim BEE. Der Bundesverband Erneuerbare Energie befürchtet für seine Mitglieder schlechtere Marktpreise für ihren Windstrom im Norden, wenn in einer geteilten Gebotszone mehr Produzenten als Abnehmer agieren. Die große deutsche Gebotszone hat den Vorteil einer ausgezeichneten Liquidität, jede Aufteilung würde diese verringern und damit marktliche Ineffizienzen erzeugen, so Stark.
Will Deutschland die Aufteilung in Gebotszonen vermeiden, muss es die Zustimmung aller Nachbarländer erreichen, erläuterte Michael Schütz, Policy Officer für den Energiebinnenmarkt aus der Generaldirektion Energie der EU-Kommission. Das könnte gelingen, wenn ein Ende des Problems zeitlich festzumachen ist, weil der deutsche Netzausbau fortschreitet.
Freitag, 19.04.2024, 12:10 Uhr
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