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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Der halbautomatische Wund(er)heiler
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Der halbautomatische Wund(er)heiler

Regen kann auf Rotorblätter wie ein Kugelhagel treffen. Diese sind überraschenderweise nicht immer darauf ausgelegt. Bisher musste die Erosionsschäden ein Mensch reparieren.
380 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit und mehr können Regentropfen auf die Vorderkanten von Rotorblättern aufschlagen. Sie wirken dann wie kleine Betonkugeln und zum Schutz dagegen haben die Vorderkanten eine sogenannte Leading Edge Protection (LEP). 

Man könnte also annehmen, Windräder seien auf den Kugelhagel der Regen-Erosion ausgelegt. Sind sie aber in vielen Fällen nicht, die LEP platzt regelrecht auf, die Aerodynamik der Rotorblätter ist im Eimer, die Stromausbeute sinkt und im schlimmsten Fall steht die Anlage. Und zwar so lange, bis das Wetter es zulässt, dass ein Techniker sich von der Gondel entlang des Rotorblatts abseilt und die Schadstellen händisch mit giftigen Chemikalien repariert. Ein teures und riskantes Unterfangen.

Oder der Windparkbetreiber oder Wartungsdienstleister nimmt einen Roboter zur Hilfe. Da ist weltweit einer bekannt: Der „BR8“ lässt sich nach Angaben seines Herstellers Rope Robotics bei fast jedem Wetter an einem von der Gondel heruntergeworfenen Seil an einem vertikal nach unten zeigenden Rotorblatt hochziehen. Rope-Robotics-Chef Martin Huus Bjerge hat E&M einige Rückfragen beantwortet (siehe Interview).
 
So dockt sich der Roboter aus Dänemark an Rotorblätter an und repariert den Vorderkantenschutz (Leading Edge Protection) − hier eine Testreparatur an einem Offshore-Windrad
Quelle: Rope Robotics
 
Vorher − nachher (v.l.): 1. Regen-Erosionsschäden am Rotorvorderkantenschutz, 2. Zustand nach dem Reinigen und Schleifen und 3. Endzustand nach Auftrag der finalen Lackschicht
Quelle: Rope Robotics

Mithilfe eines Vakuumsystems dockt der 150 Kilo schwere Roboter dann am Rotorblatt an und beginnt seine Arbeit als halb automatischer Wundheiler. Er sendet an den eigentlichen Arzt − den Techniker, der unten oder ganz woanders in einer Leitstelle steht − Kamerabilder und Laserscans zur Fernsteuerung. Nach dessen Befehlen schleift er erst die Schadstelle ab, reinigt sie mit Bürste und Alkohol von Schmutz und Fett und trägt die neue Leading Edge Protection auf. Ein Spachtelwerkzeug stellt die aerodynamische Form wieder her und die obere Lackschicht trägt der Roboter auch noch auf. Am Ende ist auch eine bebilderte Dokumentation fertig, die weltweit gefordert wird.

Seit der Markteinführung im April 2021 hat der Reparaturroboter mehr als 150-mal geliefert, in Europa, Nordamerika und Südafrika, schreibt das auf solche Anwendungen spezialisierte Unternehmen aus dem jütländischen Aarhus. Stets an Onshore-Windrädern. Anfang des laufenden Jahres hat der Wundheiler die ersten Testreparaturen an Rotorblättern auf See absolviert. Für Jahresende ist dann die Markteinführung Offshore geplant. 

Die Vorteile an Land wie erst recht auf See gegenüber der rein menschlichen Lösung: Laut Rope Robotics arbeitet der Roboter bei stärkstem Wind, der gerade noch kein Sturm ist, nämlich bei 14 Metern pro Sekunde oder 50 km/h, zudem bei Temperaturen vom Gefrierpunkt bis zu 40 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 80 Prozent.

Den nächsten Technologieschritt hat Martin Huus Bjerge schon in der Mache: in KI investieren, um künftig autonome Reparaturen anzubieten.
 

„Schon an SGRE, Vestas und GE im Einsatz“

E&M: Herr Huus Bjerge, an welchen Turbinentypen von welchen Herstellern waren die Roboter im Einsatz? Oder eignen sie sich schlicht für alle?
Huus Bjerge: Das System ist im Grunde geeignet für alle größeren Turbinen, das heißt oberhalb von circa einem Megawatt. Wir haben mit dem Roboter Rotorblätter an Turbinen von SGRE (Siemens Gamesa; d. Red.), Vestas und GE repariert.
E&M: Wenn ein Wartungs- und Instandsetzungs(O&M)-Dienstleister Ihren Reparaturroboter nicht anbietet, was kann der Betriebsführer des Windparks dann tun? Muss er seinen O&M-Dienstleister umgehen?
Huus Bjerge: Die Betriebsführer können direkt zu uns kommen. Unser primäres Geschäftsmodell besteht tatsächlich darin, mit bestehenden Dienstleistern zusammenzuarbeiten, damit sie für die Wartung von Rotorblättern mit unseren Robotern zertifiziert werden können. Wir arbeiten aber auch in anderen Modellen mit beliebigen unabhängigen Dienstleistern oder OEM (Windturbinen-Originalherstellern; d. Red.) zusammen.
E&M: Wie steht es um die internationale Zertifizierung Ihrer Reparaturen? Behalten die Anlagenbetreiber ihre Typenzulassung? Sind Unwuchten durch zu viel Spachtelmasse ausgeschlossen?
Huus Bjerge: Es kann natürlich Bereiche geben, wo etwas mehr Material aufs Rotorblatt kommt als im Originalzustand. Aber das sind weniger als zwei Kilogramm, was fast vernachlässigbar ist. Fügen Sie es außerdem an allen drei Blättern hinzu, ist eine neue Unwucht im Rotor ausgeschlossen. Die Reparatur wirkt sich also nicht auf Typenzertifikate aus. Die Leading-Edge-Protection-Produkte validiert unser Lieferant. Darüber hinaus sind sie bei allen großen Windkraftanlagenherstellern zugelassen.
 
 
Rope-Robotics-Chef Martin Huus Bjerge vor einem seiner Windrad-Wartungs- und -reparaturroboter
Quelle: Rope Robotics

Dienstag, 23.05.2023, 09:25 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Der halbautomatische Wund(er)heiler
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Der halbautomatische Wund(er)heiler
Regen kann auf Rotorblätter wie ein Kugelhagel treffen. Diese sind überraschenderweise nicht immer darauf ausgelegt. Bisher musste die Erosionsschäden ein Mensch reparieren.
380 km/h. Mit dieser Geschwindigkeit und mehr können Regentropfen auf die Vorderkanten von Rotorblättern aufschlagen. Sie wirken dann wie kleine Betonkugeln und zum Schutz dagegen haben die Vorderkanten eine sogenannte Leading Edge Protection (LEP). 

Man könnte also annehmen, Windräder seien auf den Kugelhagel der Regen-Erosion ausgelegt. Sind sie aber in vielen Fällen nicht, die LEP platzt regelrecht auf, die Aerodynamik der Rotorblätter ist im Eimer, die Stromausbeute sinkt und im schlimmsten Fall steht die Anlage. Und zwar so lange, bis das Wetter es zulässt, dass ein Techniker sich von der Gondel entlang des Rotorblatts abseilt und die Schadstellen händisch mit giftigen Chemikalien repariert. Ein teures und riskantes Unterfangen.

Oder der Windparkbetreiber oder Wartungsdienstleister nimmt einen Roboter zur Hilfe. Da ist weltweit einer bekannt: Der „BR8“ lässt sich nach Angaben seines Herstellers Rope Robotics bei fast jedem Wetter an einem von der Gondel heruntergeworfenen Seil an einem vertikal nach unten zeigenden Rotorblatt hochziehen. Rope-Robotics-Chef Martin Huus Bjerge hat E&M einige Rückfragen beantwortet (siehe Interview).
 
So dockt sich der Roboter aus Dänemark an Rotorblätter an und repariert den Vorderkantenschutz (Leading Edge Protection) − hier eine Testreparatur an einem Offshore-Windrad
Quelle: Rope Robotics
 
Vorher − nachher (v.l.): 1. Regen-Erosionsschäden am Rotorvorderkantenschutz, 2. Zustand nach dem Reinigen und Schleifen und 3. Endzustand nach Auftrag der finalen Lackschicht
Quelle: Rope Robotics

Mithilfe eines Vakuumsystems dockt der 150 Kilo schwere Roboter dann am Rotorblatt an und beginnt seine Arbeit als halb automatischer Wundheiler. Er sendet an den eigentlichen Arzt − den Techniker, der unten oder ganz woanders in einer Leitstelle steht − Kamerabilder und Laserscans zur Fernsteuerung. Nach dessen Befehlen schleift er erst die Schadstelle ab, reinigt sie mit Bürste und Alkohol von Schmutz und Fett und trägt die neue Leading Edge Protection auf. Ein Spachtelwerkzeug stellt die aerodynamische Form wieder her und die obere Lackschicht trägt der Roboter auch noch auf. Am Ende ist auch eine bebilderte Dokumentation fertig, die weltweit gefordert wird.

Seit der Markteinführung im April 2021 hat der Reparaturroboter mehr als 150-mal geliefert, in Europa, Nordamerika und Südafrika, schreibt das auf solche Anwendungen spezialisierte Unternehmen aus dem jütländischen Aarhus. Stets an Onshore-Windrädern. Anfang des laufenden Jahres hat der Wundheiler die ersten Testreparaturen an Rotorblättern auf See absolviert. Für Jahresende ist dann die Markteinführung Offshore geplant. 

Die Vorteile an Land wie erst recht auf See gegenüber der rein menschlichen Lösung: Laut Rope Robotics arbeitet der Roboter bei stärkstem Wind, der gerade noch kein Sturm ist, nämlich bei 14 Metern pro Sekunde oder 50 km/h, zudem bei Temperaturen vom Gefrierpunkt bis zu 40 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 80 Prozent.

Den nächsten Technologieschritt hat Martin Huus Bjerge schon in der Mache: in KI investieren, um künftig autonome Reparaturen anzubieten.
 

„Schon an SGRE, Vestas und GE im Einsatz“

E&M: Herr Huus Bjerge, an welchen Turbinentypen von welchen Herstellern waren die Roboter im Einsatz? Oder eignen sie sich schlicht für alle?
Huus Bjerge: Das System ist im Grunde geeignet für alle größeren Turbinen, das heißt oberhalb von circa einem Megawatt. Wir haben mit dem Roboter Rotorblätter an Turbinen von SGRE (Siemens Gamesa; d. Red.), Vestas und GE repariert.
E&M: Wenn ein Wartungs- und Instandsetzungs(O&M)-Dienstleister Ihren Reparaturroboter nicht anbietet, was kann der Betriebsführer des Windparks dann tun? Muss er seinen O&M-Dienstleister umgehen?
Huus Bjerge: Die Betriebsführer können direkt zu uns kommen. Unser primäres Geschäftsmodell besteht tatsächlich darin, mit bestehenden Dienstleistern zusammenzuarbeiten, damit sie für die Wartung von Rotorblättern mit unseren Robotern zertifiziert werden können. Wir arbeiten aber auch in anderen Modellen mit beliebigen unabhängigen Dienstleistern oder OEM (Windturbinen-Originalherstellern; d. Red.) zusammen.
E&M: Wie steht es um die internationale Zertifizierung Ihrer Reparaturen? Behalten die Anlagenbetreiber ihre Typenzulassung? Sind Unwuchten durch zu viel Spachtelmasse ausgeschlossen?
Huus Bjerge: Es kann natürlich Bereiche geben, wo etwas mehr Material aufs Rotorblatt kommt als im Originalzustand. Aber das sind weniger als zwei Kilogramm, was fast vernachlässigbar ist. Fügen Sie es außerdem an allen drei Blättern hinzu, ist eine neue Unwucht im Rotor ausgeschlossen. Die Reparatur wirkt sich also nicht auf Typenzertifikate aus. Die Leading-Edge-Protection-Produkte validiert unser Lieferant. Darüber hinaus sind sie bei allen großen Windkraftanlagenherstellern zugelassen.
 
 
Rope-Robotics-Chef Martin Huus Bjerge vor einem seiner Windrad-Wartungs- und -reparaturroboter
Quelle: Rope Robotics

Dienstag, 23.05.2023, 09:25 Uhr
Georg Eble

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