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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Datendschungel-Kämpfer
Quelle: Shutterstock/kirill_makarov
E&M Vor 20 Jahren

Datendschungel-Kämpfer

Vor 20 Jahren war die Digitalisierung noch nicht als Enabler der Energiewende im Gespräch, dafür als Grundlage für die Entwicklung eines wettbewerblichen Energiemarkts.
Die gesamte Energiewirtschaft ist jetzt schon von IT-Lösungen durchdrungen. Doch das Potenzial der Digitalisierung ist noch lange nicht ausgereizt. Und vor wenigen Wochen hat das Digitalisierungsbarometer, das die Berater von Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums jährlich erstellen, der Branche erst bescheinigt, dass es bei der Umsetzung des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende noch viel Luft nach oben gibt.

Im Jahr 2001 war die Abkehr von den Gebietsmonopolen gerade einmal drei Jahre her. Die ganze Branche diskutierte darüber, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Wettbewerb vor allem im Strommarkt schnell in die Gänge kommt. Der Aufbau einer leistungsfähigen IT-Landschaft stand damals weit oben auf der To-do-Liste der Energieversorger.

E&M-Redakteur Armin Müller berichtete im Sommer 2001 von einer Tagung zum Energiedatenmanagement in München.

Zwar hat der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt erst zaghaft begonnen, doch sind schon jetzt die Anforderungen an die Software-Ausstattung der Unternehmen und an den Datenaustausch gewaltig. Nur mit Standards und normierten Schnittstellen zwischen den zahlreichen Programmen lässt sich die Datenflut in den Griff bekommen.
 
Wie sehr die Organisation in den EVU sowie deren Hard- und Software noch den Anforderungen des liberalisierten Strommarktes hinterherhinken, wurde auf der Tagung „Energiedatenmanagement“ deutlich, die die Ueberreuter Managementakademie Ende Juni in München veranstaltete. Nur zwei bis drei Prozent der bundesdeutschen Stromkunden haben bisher ihren Lieferanten gewechselt, aber schon der dadurch verursachte Datenaustausch ist laut Jürgen Ditterich, Projektleiter Informationstechnologie bei VEW Energie (heute RWE) und Mitglied verschiedener VDEW-Arbeitskreise, nur mit großem Aufwand zu bewältigen.
 
Der Wettbewerb hat erst begonnen

Einen ähnlichen Eindruck erweckt das Zahlenbeispiel von Peter Birkner, Leiter der Hauptabteilung Netzbetrieb bei den Lech-Elektrizitätswerken (LEW) in Augsburg: Nur etwa bei der Hälfte seiner Sondervertragskunden kann der Stromversorger bisher die korrekten Lastprofile über entsprechende Zähler ablesen. Rund 1.000 Lastprofil-Zähler sind bisher im LEW-Netz installiert. Noch zwei bis drei Jahre wird es laut Birkner dauern, bis alle Kunden, deren Lastprofile man messen will, mit diesen Geräten ausgestattet sind. Erst dann kann die Bildung der in der Verbändevereinbarung II vorgesehenen „Bilanzkreise“ auch wirklich korrekt funktionieren. Bis dahin müssen die Netzbetreiber laut Birkner sogenannte „Differenz-Bilanzkreise“ bilden, um die Lücke zwischen dem kalkulierten und dem tatsächlichen Stromverbrauch zu schließen.

Immerhin müssen laut Verbändevereinbarung während jeder Viertelstunde eines Tages der prognostizierte und der tatsächliche Lastgang ausgeglichen werden. Diese Aufgabe trifft die „Bilanzkreis-Verantwortlichen“, die auch die Flut der Zählwerte handhaben müssen. Der Netzbetreiber kümmert sich über die Messung der Netzfrequenz nur um die elektrische Stabilität des Netzes und stellt diese Systemdienstleistung den Marktteilnehmern in Rechnung.

So kompliziert die Daten-Situation im liberalisierten Strommarkt gegenwärtig auch ist, sie wird ganz sicher in Kürze noch weit unübersichtlicher. Denn zum einen, da waren sich die Teilnehmer der Tagung in ihrer Einschätzung einig, wird der Wettbewerb in Deutschland erst noch richtig in Gang kommen, wofür auch die von Jürgen Ditterich eingangs genannte geringe Wechselrate spricht. Zum anderen kommen durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) und durch das KWK-Gesetz viele dezentrale Einspeiser dazu, deren Stromlieferung erfasst, gemessen und vergütet werden muss. Die jährlichen Mehrkosten aus beiden Gesetzen schätzte Birkner für LEW auf insgesamt 50 Mio. DM, davon 10 Mio. DM Mehrkosten durch das EEG, 40 Mio. DM durch das KWK-Gesetz. Dabei ist der zusätzliche Datenaustausch aus dem EEG besonders aufwändig, weil die vielen Stromeinspeiser ihre Lieferungen nicht terminieren können, sich also in den Viertelstunden-Werten der Bilanzkreise nur schwer einplanen lassen. Dazu kommt, dass ihre lokale Stromproduktion bis in das Verbundnetz „hochgerechnet“ werden muss, weil der Energie- und der Finanzausgleich bundesweit zwischen den Ãœbertragungsnetzbetreibern verrechnet wird. Beim KWK-Strom werden zwar ebenfalls die Mehrkosten bundesweit umgelegt, die erzeugte Energie bleibt aber auf der Verteilnetz-Ebene.

Bei der Bewältigung der Datenflut stehen viele Energieversorger noch ganz am Anfang. So sei oftmals die interne Organisationsstruktur noch nicht geklärt und die Ausstattung der Unternehmen mit Hard- und Software entspreche bei weitem nicht den Anforderungen, berichteten unisono Stadtwerke-Mitarbeiter und Berater am Rande der Veranstaltung. Oft dominierten Excel-Tabellen den Datenaustausch, eine Lösung, die spätestens bei einem weiteren Anwachsen der Datenmenge nicht mehr funktionieren kann.
 
Prozesse müssen automatisch ablaufen
 
Die Lösung für die Zukunft – viele der Referenten erwarteten eine exponentiell ansteigende Datenmenge in nächster Zeit – kann nur in der Standardisierung des Datenaustausches und in der Automatisierung einzelner Prozesse (etwa dem des Lieferantenwechsels) liegen. So arbeiten etwa VDEW-Arbeitskreise und die Edna-Initiative, ein Zusammenschluss von Software-Anbietern, an der Schaffung einheitlicher Formate für den Datenaustausch. „Der Markt braucht Regeln“, fasste Stefan Meyerolbersleben, Leiter der Edna-Arbeitsruppe „Geschäftsprozesse“ das Ziel zusammen. Die Datensätze sollen auf allen Rechnertypen gleich interpretiert werden, und Fehler bei der Anwendung muss das System automatisch vermeiden.

Als allgemein akzeptiertes Datenformat für diese Zwecke zeichnet sich Edifact ab. Eine VDEW-Arbeitsgruppe arbeitet damit und auch die Edna-Teilnehmer verwenden es. Eine ganze Reihe von Anfragen, Antworten darauf und die Austausch-Prozesse für Datensätze müssen noch auf der Basis dieses Formates definiert werden: Die Anfrage nach Zählwerten und Lastgängen etwa, der Austausch von Rechnungen zwischen den Marktteilnehmern oder der Vorgang des Lieferantenwechsels. Bisher definiert ist das Protokoll „MSCONS“, das dem Austausch von Zählerdaten und Lastgängen dient, an weiteren Protokollen wird gearbeitet.

Den Teilnehmern von Edna obliegt es, den Austausch-Standard in ihre Software zu integrieren. Für das erwähnte MSCONS gibt es jedenfalls schon erste Tests und im Herbst soll das Funktionieren des Datenaustausches mit diesem System öffentlich demonstriert werden (auf der Fachtagung „Energiedaten-Management live“ am 20. und 21. September in Hannover). Dann wollen VDEW und die Edna-Mitglieder zeigen, wie sich Datenpakete für verschiedene Geschäftsprozesse und über unterschiedliche Softwaresysteme hinweglesen, verstehen und nutzen lassen. 
 

Sonntag, 1.08.2021, 17:27 Uhr
Armin Müller und Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Datendschungel-Kämpfer
Quelle: Shutterstock/kirill_makarov
E&M Vor 20 Jahren
Datendschungel-Kämpfer
Vor 20 Jahren war die Digitalisierung noch nicht als Enabler der Energiewende im Gespräch, dafür als Grundlage für die Entwicklung eines wettbewerblichen Energiemarkts.
Die gesamte Energiewirtschaft ist jetzt schon von IT-Lösungen durchdrungen. Doch das Potenzial der Digitalisierung ist noch lange nicht ausgereizt. Und vor wenigen Wochen hat das Digitalisierungsbarometer, das die Berater von Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums jährlich erstellen, der Branche erst bescheinigt, dass es bei der Umsetzung des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende noch viel Luft nach oben gibt.

Im Jahr 2001 war die Abkehr von den Gebietsmonopolen gerade einmal drei Jahre her. Die ganze Branche diskutierte darüber, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Wettbewerb vor allem im Strommarkt schnell in die Gänge kommt. Der Aufbau einer leistungsfähigen IT-Landschaft stand damals weit oben auf der To-do-Liste der Energieversorger.

E&M-Redakteur Armin Müller berichtete im Sommer 2001 von einer Tagung zum Energiedatenmanagement in München.

Zwar hat der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt erst zaghaft begonnen, doch sind schon jetzt die Anforderungen an die Software-Ausstattung der Unternehmen und an den Datenaustausch gewaltig. Nur mit Standards und normierten Schnittstellen zwischen den zahlreichen Programmen lässt sich die Datenflut in den Griff bekommen.
 
Wie sehr die Organisation in den EVU sowie deren Hard- und Software noch den Anforderungen des liberalisierten Strommarktes hinterherhinken, wurde auf der Tagung „Energiedatenmanagement“ deutlich, die die Ueberreuter Managementakademie Ende Juni in München veranstaltete. Nur zwei bis drei Prozent der bundesdeutschen Stromkunden haben bisher ihren Lieferanten gewechselt, aber schon der dadurch verursachte Datenaustausch ist laut Jürgen Ditterich, Projektleiter Informationstechnologie bei VEW Energie (heute RWE) und Mitglied verschiedener VDEW-Arbeitskreise, nur mit großem Aufwand zu bewältigen.
 
Der Wettbewerb hat erst begonnen

Einen ähnlichen Eindruck erweckt das Zahlenbeispiel von Peter Birkner, Leiter der Hauptabteilung Netzbetrieb bei den Lech-Elektrizitätswerken (LEW) in Augsburg: Nur etwa bei der Hälfte seiner Sondervertragskunden kann der Stromversorger bisher die korrekten Lastprofile über entsprechende Zähler ablesen. Rund 1.000 Lastprofil-Zähler sind bisher im LEW-Netz installiert. Noch zwei bis drei Jahre wird es laut Birkner dauern, bis alle Kunden, deren Lastprofile man messen will, mit diesen Geräten ausgestattet sind. Erst dann kann die Bildung der in der Verbändevereinbarung II vorgesehenen „Bilanzkreise“ auch wirklich korrekt funktionieren. Bis dahin müssen die Netzbetreiber laut Birkner sogenannte „Differenz-Bilanzkreise“ bilden, um die Lücke zwischen dem kalkulierten und dem tatsächlichen Stromverbrauch zu schließen.

Immerhin müssen laut Verbändevereinbarung während jeder Viertelstunde eines Tages der prognostizierte und der tatsächliche Lastgang ausgeglichen werden. Diese Aufgabe trifft die „Bilanzkreis-Verantwortlichen“, die auch die Flut der Zählwerte handhaben müssen. Der Netzbetreiber kümmert sich über die Messung der Netzfrequenz nur um die elektrische Stabilität des Netzes und stellt diese Systemdienstleistung den Marktteilnehmern in Rechnung.

So kompliziert die Daten-Situation im liberalisierten Strommarkt gegenwärtig auch ist, sie wird ganz sicher in Kürze noch weit unübersichtlicher. Denn zum einen, da waren sich die Teilnehmer der Tagung in ihrer Einschätzung einig, wird der Wettbewerb in Deutschland erst noch richtig in Gang kommen, wofür auch die von Jürgen Ditterich eingangs genannte geringe Wechselrate spricht. Zum anderen kommen durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) und durch das KWK-Gesetz viele dezentrale Einspeiser dazu, deren Stromlieferung erfasst, gemessen und vergütet werden muss. Die jährlichen Mehrkosten aus beiden Gesetzen schätzte Birkner für LEW auf insgesamt 50 Mio. DM, davon 10 Mio. DM Mehrkosten durch das EEG, 40 Mio. DM durch das KWK-Gesetz. Dabei ist der zusätzliche Datenaustausch aus dem EEG besonders aufwändig, weil die vielen Stromeinspeiser ihre Lieferungen nicht terminieren können, sich also in den Viertelstunden-Werten der Bilanzkreise nur schwer einplanen lassen. Dazu kommt, dass ihre lokale Stromproduktion bis in das Verbundnetz „hochgerechnet“ werden muss, weil der Energie- und der Finanzausgleich bundesweit zwischen den Ãœbertragungsnetzbetreibern verrechnet wird. Beim KWK-Strom werden zwar ebenfalls die Mehrkosten bundesweit umgelegt, die erzeugte Energie bleibt aber auf der Verteilnetz-Ebene.

Bei der Bewältigung der Datenflut stehen viele Energieversorger noch ganz am Anfang. So sei oftmals die interne Organisationsstruktur noch nicht geklärt und die Ausstattung der Unternehmen mit Hard- und Software entspreche bei weitem nicht den Anforderungen, berichteten unisono Stadtwerke-Mitarbeiter und Berater am Rande der Veranstaltung. Oft dominierten Excel-Tabellen den Datenaustausch, eine Lösung, die spätestens bei einem weiteren Anwachsen der Datenmenge nicht mehr funktionieren kann.
 
Prozesse müssen automatisch ablaufen
 
Die Lösung für die Zukunft – viele der Referenten erwarteten eine exponentiell ansteigende Datenmenge in nächster Zeit – kann nur in der Standardisierung des Datenaustausches und in der Automatisierung einzelner Prozesse (etwa dem des Lieferantenwechsels) liegen. So arbeiten etwa VDEW-Arbeitskreise und die Edna-Initiative, ein Zusammenschluss von Software-Anbietern, an der Schaffung einheitlicher Formate für den Datenaustausch. „Der Markt braucht Regeln“, fasste Stefan Meyerolbersleben, Leiter der Edna-Arbeitsruppe „Geschäftsprozesse“ das Ziel zusammen. Die Datensätze sollen auf allen Rechnertypen gleich interpretiert werden, und Fehler bei der Anwendung muss das System automatisch vermeiden.

Als allgemein akzeptiertes Datenformat für diese Zwecke zeichnet sich Edifact ab. Eine VDEW-Arbeitsgruppe arbeitet damit und auch die Edna-Teilnehmer verwenden es. Eine ganze Reihe von Anfragen, Antworten darauf und die Austausch-Prozesse für Datensätze müssen noch auf der Basis dieses Formates definiert werden: Die Anfrage nach Zählwerten und Lastgängen etwa, der Austausch von Rechnungen zwischen den Marktteilnehmern oder der Vorgang des Lieferantenwechsels. Bisher definiert ist das Protokoll „MSCONS“, das dem Austausch von Zählerdaten und Lastgängen dient, an weiteren Protokollen wird gearbeitet.

Den Teilnehmern von Edna obliegt es, den Austausch-Standard in ihre Software zu integrieren. Für das erwähnte MSCONS gibt es jedenfalls schon erste Tests und im Herbst soll das Funktionieren des Datenaustausches mit diesem System öffentlich demonstriert werden (auf der Fachtagung „Energiedaten-Management live“ am 20. und 21. September in Hannover). Dann wollen VDEW und die Edna-Mitglieder zeigen, wie sich Datenpakete für verschiedene Geschäftsprozesse und über unterschiedliche Softwaresysteme hinweglesen, verstehen und nutzen lassen. 
 

Sonntag, 1.08.2021, 17:27 Uhr
Armin Müller und Fritz Wilhelm

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