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Energie & Management > Regenerative - Das
Quelle: Shutterstock / Jevanto Productions
Regenerative

Das "Dorf" wächst energetisch über sich hinaus

Die kleine Klimakommune Saerbeck im Münsterland will schnell weitere Erneuerbaren-Anlagen bauen, obwohl sie schon jetzt mehrfacher Stromexporteur ist. Eine Reportage. 
NRW-Klimakommune. Mit diesem Untertitel empfangen die Ortseingangsschilder Besucher im münsterländischen Saerbeck. Für die Gemeinde ist die Bezeichnung mehr Auftrag als Schmuck. Obwohl Erneuerbare-Anlagen schon jetzt etwa 450 Prozent des vor Ort benötigten Stroms herstellen, hat Saerbeck weiter große Pläne.

Besonders die Windkraft hat es dem „Dorf“ angetan, wie die Bevölkerung den 7.200-Seelen-Ort liebevoll nennt. In den politischen Lagern geht es allenfalls um Nuancen bei der Art des Zubaus, keineswegs um das Ob. Daher nimmt Bürgermeister Tobias Lehberg es sportlich, wenn ein Verfahrensvorschlag seiner Verwaltung keine Mehrheit findet. Als parteiloser, aber seinerzeit von SPD, Grünen und UWG unterstützter Kandidat, war er auf wechselnde Mehrheiten vorbereitet, die er „unter demokratischen Gesichtspunkten“ richtig gut findet.

Saerbeck hat der Windkraft schon 3,3 Prozent der Fläche eingeräumt

Jetzt also weht der Wind in einer Sache einmal leicht gegen ihn. Eine Zufallskoalition aus Grünen und CDU befürwortet die komplette Aufgabe aller Windkraftkonzentrationszonen, um schnell im Gemeindegebiet neue Turbinen errichten zu können. Lehberg selbst befürwortet mit SPD und UWG einen gesteuerten Ausbau mit Betonung auf Bürgerenergie-Projekten. Die Debatte im Planungsausschuss vom 22. März legt nahe, dass der Gemeinderat dem Schwarz-Grünen Weg folgen wird.

Saerbeck ringt also nur darum, wie es dem von der Bundesregierung verlangten Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau nachkommen kann. Und dies, obwohl die bestehenden Windkraftanlagen nach Angaben des Bürgermeisters bereits 3,3 Prozent der Gemeindeflächen belegen. Das ist auf den Ort bezogen schon jetzt weit mehr, als das Wind-an-Land-Gesetz der Bundesregierung als Mindestwert für das gesamte Nordrhein-Westfalen festgelegt hat (1,8 Prozent der Landesfläche bis 2032).
 
 
Der Kommune geht es seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts aber ohnehin nicht darum, Untergrenzen zu erfüllen. Mit dem Kauf eines 91 Hektar großen Bundeswehr-Depots 2010 stellte der Ort die Weichen für das, was Manfred Stallfort heute als „Leuchtturm von Saerbeck“ bezeichnet: den Bioenergiepark (BEP). Stallfort ist Beirat der Saergas GmbH, einem Zusammenschluss von 16 Landwirten, des Betriebshilfsdienst & Maschinenring Steinfurt und der Firma „EnviTec“ Biogas, die die 4-MW-Biogasanlage im Park betreiben.

Der Park kommt mit seinen sieben Windrädern, 24.000 Solarmodulen, der Biogasanlage und einem Kompostwerk bei Vollauslastung auf eine Kapazität von 29 MW. Die Stromproduktion allein dort reicht dreieinhalb Mal für den Energiebedarf des Dorfes. Bürgermeister Tobias Lehberg verweist auf die Sogwirkung des „Leuchtturms“: Nur weil das ehemalige Militärgelände grüne Energie im Überfluss erzeugt, habe Enapter sich für Saerbeck als Standort für seine „Campus“ genannte Elektrolyseur-Massenfertigung entschieden.

 
Im Bioenergiepark Saerbeck: (v.l.) Hermann Josef Benning (Fachverband Biogas), Biogasanlagen-Betreiber Hendrik Uhlenbrock (Saergas) und Isabelle Grudda (LEE NRW)
Quelle: E&M / Volker Stephan

Biogasanlage der Wärmelieferant für Enapters Elektrolyseur-Campus

In unmittelbarer Nachbarschaft des BEP logiert nun Enapter. Seit dem vierten Quartal 2022 hat das Unternehmen nach eigenen Angaben Lieferengpässe und Probleme mit zugeliefertem Material überwunden. Die Produktion fährt hoch, sie soll allein in Saerbeck bei Vollauslastung 10.000 Elektrolyseure des Anionenaustauschmembran-Typs (AEM) im Monat hervorbringen.

Enapter bezieht nicht nur Strom, der über die Kapazität der eigenen Groß-Dachanlagen des Campus hinaus nötig ist, aus dem BEP. Die Biogasanlage von Saergas versorgt Enapter auch mit Abwärme für die Warmwasser-Aufbereitung und das Beheizen der Gebäude. Dies alles sind Bausteine für die angestrebte Klimaneutralität in der Produktion der Wasserstoff-Generatoren.

Für die Biogasanlage war der neue Nachbar ein Segen. Wie Saergas-Geschäftsführer Hendrik Uhlenbrock im Gespräch mit unserer Redaktion sagt, habe die Wärmeproduktion der vier BHKWs nun auch ein lohnenswertes externes Ziel. Das flexible Fahren der 2018 erweiterten Biogasanlage erlaube es, in nur noch acht Stunden die gleiche Strommenge zu erzielen wie früher mit den zwei Ursprungs-BHKW rund um die Uhr. Und natürlich richtet Saergas die Stromproduktion auf exakt jene Stunden des Tages aus, in denen der Markt die besten Preise hergibt.

Von der Flexibilität und Bedeutung der Biogasanlage, die gerade eine Auszeichnung vom Fachverband Biogas und dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) erhalten hat, ist man in Saerbeck ohnehin überzeugt. Saergas-Beirat Manfred Stallfort betont, die Anlage „auf den Punkt“ hochfahren zu können, wenn das Ausbleiben von Wind oder Sonnenschein („Dunkelflaute“) zu Engpässen in der Stromversorgung führe. Weitergehende Pläne gibt es genug. Wenn der Gesetzgeber Deckelungen bei der Menge des zu produzierenden und zu speichernden Biogases aufweichen würde, könnte Biomethan auch eine wichtige Rolle beim Ersatz von Erdgas in den Netzen und Speichern spielen.

So lange dies und die Wasserstoff-Produktion noch Zukunftsmusik sind, beschäftigt Saerbeck sich erst einmal damit, ob eine Wärmeversorgung auch des „Dorfes“ durch die Biogasanlage wirtschaftlich darstellbar ist. Denn so bezaubernd die Vorstellung erscheinen mag, ein Bundeswehr-Lager in einen Erneuerbaren-Leuchtturm zu verwandeln: Im Umkreis von 1.400 Metern ums ehemalige Militärareal wohnt auch kaum jemand. Daher wäre zunächst einmal eine kilometerlange Leitung zu bauen und zu bezahlen. Landwirte, Firmen und Parteien tüfteln schon wieder gemeinsam.

Donnerstag, 23.03.2023, 15:46 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Regenerative - Das
Quelle: Shutterstock / Jevanto Productions
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Das "Dorf" wächst energetisch über sich hinaus
Die kleine Klimakommune Saerbeck im Münsterland will schnell weitere Erneuerbaren-Anlagen bauen, obwohl sie schon jetzt mehrfacher Stromexporteur ist. Eine Reportage. 
NRW-Klimakommune. Mit diesem Untertitel empfangen die Ortseingangsschilder Besucher im münsterländischen Saerbeck. Für die Gemeinde ist die Bezeichnung mehr Auftrag als Schmuck. Obwohl Erneuerbare-Anlagen schon jetzt etwa 450 Prozent des vor Ort benötigten Stroms herstellen, hat Saerbeck weiter große Pläne.

Besonders die Windkraft hat es dem „Dorf“ angetan, wie die Bevölkerung den 7.200-Seelen-Ort liebevoll nennt. In den politischen Lagern geht es allenfalls um Nuancen bei der Art des Zubaus, keineswegs um das Ob. Daher nimmt Bürgermeister Tobias Lehberg es sportlich, wenn ein Verfahrensvorschlag seiner Verwaltung keine Mehrheit findet. Als parteiloser, aber seinerzeit von SPD, Grünen und UWG unterstützter Kandidat, war er auf wechselnde Mehrheiten vorbereitet, die er „unter demokratischen Gesichtspunkten“ richtig gut findet.

Saerbeck hat der Windkraft schon 3,3 Prozent der Fläche eingeräumt

Jetzt also weht der Wind in einer Sache einmal leicht gegen ihn. Eine Zufallskoalition aus Grünen und CDU befürwortet die komplette Aufgabe aller Windkraftkonzentrationszonen, um schnell im Gemeindegebiet neue Turbinen errichten zu können. Lehberg selbst befürwortet mit SPD und UWG einen gesteuerten Ausbau mit Betonung auf Bürgerenergie-Projekten. Die Debatte im Planungsausschuss vom 22. März legt nahe, dass der Gemeinderat dem Schwarz-Grünen Weg folgen wird.

Saerbeck ringt also nur darum, wie es dem von der Bundesregierung verlangten Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau nachkommen kann. Und dies, obwohl die bestehenden Windkraftanlagen nach Angaben des Bürgermeisters bereits 3,3 Prozent der Gemeindeflächen belegen. Das ist auf den Ort bezogen schon jetzt weit mehr, als das Wind-an-Land-Gesetz der Bundesregierung als Mindestwert für das gesamte Nordrhein-Westfalen festgelegt hat (1,8 Prozent der Landesfläche bis 2032).
 
 
Der Kommune geht es seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts aber ohnehin nicht darum, Untergrenzen zu erfüllen. Mit dem Kauf eines 91 Hektar großen Bundeswehr-Depots 2010 stellte der Ort die Weichen für das, was Manfred Stallfort heute als „Leuchtturm von Saerbeck“ bezeichnet: den Bioenergiepark (BEP). Stallfort ist Beirat der Saergas GmbH, einem Zusammenschluss von 16 Landwirten, des Betriebshilfsdienst & Maschinenring Steinfurt und der Firma „EnviTec“ Biogas, die die 4-MW-Biogasanlage im Park betreiben.

Der Park kommt mit seinen sieben Windrädern, 24.000 Solarmodulen, der Biogasanlage und einem Kompostwerk bei Vollauslastung auf eine Kapazität von 29 MW. Die Stromproduktion allein dort reicht dreieinhalb Mal für den Energiebedarf des Dorfes. Bürgermeister Tobias Lehberg verweist auf die Sogwirkung des „Leuchtturms“: Nur weil das ehemalige Militärgelände grüne Energie im Überfluss erzeugt, habe Enapter sich für Saerbeck als Standort für seine „Campus“ genannte Elektrolyseur-Massenfertigung entschieden.

 
Im Bioenergiepark Saerbeck: (v.l.) Hermann Josef Benning (Fachverband Biogas), Biogasanlagen-Betreiber Hendrik Uhlenbrock (Saergas) und Isabelle Grudda (LEE NRW)
Quelle: E&M / Volker Stephan

Biogasanlage der Wärmelieferant für Enapters Elektrolyseur-Campus

In unmittelbarer Nachbarschaft des BEP logiert nun Enapter. Seit dem vierten Quartal 2022 hat das Unternehmen nach eigenen Angaben Lieferengpässe und Probleme mit zugeliefertem Material überwunden. Die Produktion fährt hoch, sie soll allein in Saerbeck bei Vollauslastung 10.000 Elektrolyseure des Anionenaustauschmembran-Typs (AEM) im Monat hervorbringen.

Enapter bezieht nicht nur Strom, der über die Kapazität der eigenen Groß-Dachanlagen des Campus hinaus nötig ist, aus dem BEP. Die Biogasanlage von Saergas versorgt Enapter auch mit Abwärme für die Warmwasser-Aufbereitung und das Beheizen der Gebäude. Dies alles sind Bausteine für die angestrebte Klimaneutralität in der Produktion der Wasserstoff-Generatoren.

Für die Biogasanlage war der neue Nachbar ein Segen. Wie Saergas-Geschäftsführer Hendrik Uhlenbrock im Gespräch mit unserer Redaktion sagt, habe die Wärmeproduktion der vier BHKWs nun auch ein lohnenswertes externes Ziel. Das flexible Fahren der 2018 erweiterten Biogasanlage erlaube es, in nur noch acht Stunden die gleiche Strommenge zu erzielen wie früher mit den zwei Ursprungs-BHKW rund um die Uhr. Und natürlich richtet Saergas die Stromproduktion auf exakt jene Stunden des Tages aus, in denen der Markt die besten Preise hergibt.

Von der Flexibilität und Bedeutung der Biogasanlage, die gerade eine Auszeichnung vom Fachverband Biogas und dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) erhalten hat, ist man in Saerbeck ohnehin überzeugt. Saergas-Beirat Manfred Stallfort betont, die Anlage „auf den Punkt“ hochfahren zu können, wenn das Ausbleiben von Wind oder Sonnenschein („Dunkelflaute“) zu Engpässen in der Stromversorgung führe. Weitergehende Pläne gibt es genug. Wenn der Gesetzgeber Deckelungen bei der Menge des zu produzierenden und zu speichernden Biogases aufweichen würde, könnte Biomethan auch eine wichtige Rolle beim Ersatz von Erdgas in den Netzen und Speichern spielen.

So lange dies und die Wasserstoff-Produktion noch Zukunftsmusik sind, beschäftigt Saerbeck sich erst einmal damit, ob eine Wärmeversorgung auch des „Dorfes“ durch die Biogasanlage wirtschaftlich darstellbar ist. Denn so bezaubernd die Vorstellung erscheinen mag, ein Bundeswehr-Lager in einen Erneuerbaren-Leuchtturm zu verwandeln: Im Umkreis von 1.400 Metern ums ehemalige Militärareal wohnt auch kaum jemand. Daher wäre zunächst einmal eine kilometerlange Leitung zu bauen und zu bezahlen. Landwirte, Firmen und Parteien tüfteln schon wieder gemeinsam.

Donnerstag, 23.03.2023, 15:46 Uhr
Volker Stephan

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