E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Biogasbranche bietet sich als Helfer in der Not an
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Biogasbranche bietet sich als Helfer in der Not an

Bei der Suche nach Wegen, schneller von russischem Erdgas loszukommen, bringt sich die Biogasbranche verstärkt ins Spiel. Auch mit Forderungen.
„Gaskrise? − Biogas ist Teil der Lösung“, meldete sich schon im Februar der Fachverband Biogas zu Wort. Mit Hinweis auf zur Neige gehende Speicherstände und den stockenden Nachschub aus Russland stellt die Interessenvertretung die Frage, ob nicht heimisches Biogas die Importe aus dem Osten ersetzen könne. Und beantwortet sie auch gleich mit recht eindrucksvollen Zahlen: In der Bundesrepublik gibt es 9.700 Biogasanlagen mit einem Energiegehalt von 100 Mrd. kWh − Tendenz leicht steigend. Das ist mehr als die Hälfte aller europäischen Anlagen.

Wie der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Claudius da Costa Gomez, vorrechnet, wäre eine Verdoppelung der Produktion möglich − und zwar ohne dass dafür die Anbaufläche für konventionelle Energiepflanzen erhöht werden müsste: Allein die Vergärung vorhandener Gülle- und Abfallmengen sowie die Nutzung von Grünland und Biodiversitätsflächen würde reichen. So ließe sich fast schon die Hälfte der russischen Gasimporte ersetzen.

Auch auf Europaebene sehen die Biogasvertreter gute Perspektiven. Hier erzeugen 20.000 Anlagen rund 17 Mrd. Kubikmeter Gas für Strom und Wärme. Harem Dekker vom Europäischen Biogasverband (EBA) führt verschiedene Studien an, die belegen, dass die Biomethanerzeugung bis 2030 auf 35 Mrd. Kubikmeter verdoppelt werden könnte, was in etwa zwei Drittel der Nord-Stream-Kapazität und rund 20 % der Russland-Importe entspreche. Bis 2050 wären 100 bis 160 Kubikmeter möglich, 30 bis 50 % des künftigen EU-Gasbedarfs. Dafür müssten 5.000 neue Anlagen gebaut werden.

Die Verunsicherung um russische Energielieferungen und ihre Substitution bietet der Biogasbranche Gelegenheit, ihre schon länger gestellten Forderungen an die Politik zu unterstreichen. Ganz oben steht die sofortige Abschaffung der Höchstbemessungsleistung − sprich der Deckelung der Produktionskapazität. Die würde, davon ist der Präsident des Fachverbands Biogas, Horst Seide, überzeugt, eine sofortige Steigerung von 20 % ermöglichen − was 5 % der Gasimporte aus Russland entspricht. Sein Maissilo sei gerade so voll wie selten.

Darüber hinaus verlangen die Verbände mehr Flexibilität beim Substrateinsatz sowie den Abbau bürokratischer Hürden und schnellere Entscheidungen bei Genehmigungsverfahren. Außerdem gelte es, die Flexibilisierung der Anlagen voranzubringen und sie an die zunehmende Einspeisung von Strom aus anderen erneuerbaren Energien anzupassen. Praktisch bedeutete es, dass sie Gas über längere Zeit speichern sollen, um einspringen zu können, wenn Wind und Sonne schwächeln. In dem Zusammenhang steht auch eine Quote, die neue Biogasanlagen in Süddeutschland bevorzugt. Eine Regelung, die die Branche in der jetzigen Situation gern wieder abgeschafft sehen würde.

Großes Thema bei den Biogasanlagenbetreibern ist aktuell auch die direkte Einspeisung ins Gasnetz. Zurzeit sind das in Deutschland nur 10 %, während 90 % der Energie vor Ort über Blockheizkraftwerke in Strom und Wärme verwandelt werden. Allerdings gilt die Direkteinspeisung nicht nur als effizient, sondern auch als aufwendiger. Nur rund 240 Anlagen nutzen hierzulande diese Option, die auch eine Aufbereitungs- und Gasnetzübergabestation erfordert. Biogas besteht nämlich nur zu 50 bis 60 % aus dem brennbaren Methan, der Rest ist vor allem CO2. Der Methananteil bei Erdgas beträgt dagegen 98 %. Um Biogas ins Netz einspeisen zu können, muss also erst mal das CO2 „ausgewaschen“ und so der gleiche Methangehalt wie bei Erdgas hergestellt werden. Dann spricht man von Biomethan.

Die Verwendungsmöglichkeiten hierfür gehen über das Verheizen hinaus: Jedes gasbetriebene Fahrzeug kann problemlos Biomethan tanken. Dadurch reduziert sich der CO2-Ausstoß um 90 % gegenüber einem Benziner und der Autofahrer hat weitaus geringere Spritkosten. Verflüssigt man Biomethan zu LNG (Liquified Natural Gas), lässt es sich mit seiner hohen Energiedichte auch für Lastwagen und Schiffe einsetzen.

Die weitaus meiste Energie der Biogasanlagen geht aktuell allerdings in die Erzeugung von Strom und Wärme. Die Stromerzeugungsleistung wird deutschlandweit mit knapp 5.800 MW angegeben, ihr Anteil am Stromverbrauch mit 5 bis 6 %. Wasserkraft liegt mit 3,3 % darunter, Photovoltaik mit 8,8 % darüber. Auch das Thema Wärme schiebt sich anhand der aktuellen Lage wieder nach vorne: Eine eher kleine Biogasanlage mit einer Leistung von 190 kW erzeugt, wenn sie Strom für 450 Haushalte produziert, auch noch Wärmeenergie für 100. Wenn sie im Ort oder am Ortsrand steht, können Anwohner und öffentliche Einrichtungen über Nahwärmenetze profitieren. Allein durch die konsequente Nutzung der Abwärme aus Biogasanlagen können nach den Berechnungen des Biogas-Verbands rund 1 Mio. Haushalte versorgt und 2 % des aus Russland importierten Gases eingespart werden.

Natürlich hat auch das Thema Biogas Schattenseiten. Eine davon ist der ausufernde Anbau von Mais, der dadurch ausgelöst wurde. Immer wieder gibt es auch Meldungen über Störfälle, die nach Austritt von Gülle oder Substrat zu schweren Umweltschäden führen. Ein Problem ist ebenfalls, dass ein Teil des Methans entweicht und damit CO2. Auf der anderen Seite entweicht noch viel mehr Methan in die Atmosphäre, wenn Gülle ungenutzt beim Landwirt gelagert wird. So gesehen ist ihre Verwertung in einer Biogasanlage die ganz klar bessere Lösung für die Umwelt.

Donnerstag, 7.04.2022, 08:45 Uhr
Günter Drewnitzky
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Biogasbranche bietet sich als Helfer in der Not an
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Biogasbranche bietet sich als Helfer in der Not an
Bei der Suche nach Wegen, schneller von russischem Erdgas loszukommen, bringt sich die Biogasbranche verstärkt ins Spiel. Auch mit Forderungen.
„Gaskrise? − Biogas ist Teil der Lösung“, meldete sich schon im Februar der Fachverband Biogas zu Wort. Mit Hinweis auf zur Neige gehende Speicherstände und den stockenden Nachschub aus Russland stellt die Interessenvertretung die Frage, ob nicht heimisches Biogas die Importe aus dem Osten ersetzen könne. Und beantwortet sie auch gleich mit recht eindrucksvollen Zahlen: In der Bundesrepublik gibt es 9.700 Biogasanlagen mit einem Energiegehalt von 100 Mrd. kWh − Tendenz leicht steigend. Das ist mehr als die Hälfte aller europäischen Anlagen.

Wie der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Claudius da Costa Gomez, vorrechnet, wäre eine Verdoppelung der Produktion möglich − und zwar ohne dass dafür die Anbaufläche für konventionelle Energiepflanzen erhöht werden müsste: Allein die Vergärung vorhandener Gülle- und Abfallmengen sowie die Nutzung von Grünland und Biodiversitätsflächen würde reichen. So ließe sich fast schon die Hälfte der russischen Gasimporte ersetzen.

Auch auf Europaebene sehen die Biogasvertreter gute Perspektiven. Hier erzeugen 20.000 Anlagen rund 17 Mrd. Kubikmeter Gas für Strom und Wärme. Harem Dekker vom Europäischen Biogasverband (EBA) führt verschiedene Studien an, die belegen, dass die Biomethanerzeugung bis 2030 auf 35 Mrd. Kubikmeter verdoppelt werden könnte, was in etwa zwei Drittel der Nord-Stream-Kapazität und rund 20 % der Russland-Importe entspreche. Bis 2050 wären 100 bis 160 Kubikmeter möglich, 30 bis 50 % des künftigen EU-Gasbedarfs. Dafür müssten 5.000 neue Anlagen gebaut werden.

Die Verunsicherung um russische Energielieferungen und ihre Substitution bietet der Biogasbranche Gelegenheit, ihre schon länger gestellten Forderungen an die Politik zu unterstreichen. Ganz oben steht die sofortige Abschaffung der Höchstbemessungsleistung − sprich der Deckelung der Produktionskapazität. Die würde, davon ist der Präsident des Fachverbands Biogas, Horst Seide, überzeugt, eine sofortige Steigerung von 20 % ermöglichen − was 5 % der Gasimporte aus Russland entspricht. Sein Maissilo sei gerade so voll wie selten.

Darüber hinaus verlangen die Verbände mehr Flexibilität beim Substrateinsatz sowie den Abbau bürokratischer Hürden und schnellere Entscheidungen bei Genehmigungsverfahren. Außerdem gelte es, die Flexibilisierung der Anlagen voranzubringen und sie an die zunehmende Einspeisung von Strom aus anderen erneuerbaren Energien anzupassen. Praktisch bedeutete es, dass sie Gas über längere Zeit speichern sollen, um einspringen zu können, wenn Wind und Sonne schwächeln. In dem Zusammenhang steht auch eine Quote, die neue Biogasanlagen in Süddeutschland bevorzugt. Eine Regelung, die die Branche in der jetzigen Situation gern wieder abgeschafft sehen würde.

Großes Thema bei den Biogasanlagenbetreibern ist aktuell auch die direkte Einspeisung ins Gasnetz. Zurzeit sind das in Deutschland nur 10 %, während 90 % der Energie vor Ort über Blockheizkraftwerke in Strom und Wärme verwandelt werden. Allerdings gilt die Direkteinspeisung nicht nur als effizient, sondern auch als aufwendiger. Nur rund 240 Anlagen nutzen hierzulande diese Option, die auch eine Aufbereitungs- und Gasnetzübergabestation erfordert. Biogas besteht nämlich nur zu 50 bis 60 % aus dem brennbaren Methan, der Rest ist vor allem CO2. Der Methananteil bei Erdgas beträgt dagegen 98 %. Um Biogas ins Netz einspeisen zu können, muss also erst mal das CO2 „ausgewaschen“ und so der gleiche Methangehalt wie bei Erdgas hergestellt werden. Dann spricht man von Biomethan.

Die Verwendungsmöglichkeiten hierfür gehen über das Verheizen hinaus: Jedes gasbetriebene Fahrzeug kann problemlos Biomethan tanken. Dadurch reduziert sich der CO2-Ausstoß um 90 % gegenüber einem Benziner und der Autofahrer hat weitaus geringere Spritkosten. Verflüssigt man Biomethan zu LNG (Liquified Natural Gas), lässt es sich mit seiner hohen Energiedichte auch für Lastwagen und Schiffe einsetzen.

Die weitaus meiste Energie der Biogasanlagen geht aktuell allerdings in die Erzeugung von Strom und Wärme. Die Stromerzeugungsleistung wird deutschlandweit mit knapp 5.800 MW angegeben, ihr Anteil am Stromverbrauch mit 5 bis 6 %. Wasserkraft liegt mit 3,3 % darunter, Photovoltaik mit 8,8 % darüber. Auch das Thema Wärme schiebt sich anhand der aktuellen Lage wieder nach vorne: Eine eher kleine Biogasanlage mit einer Leistung von 190 kW erzeugt, wenn sie Strom für 450 Haushalte produziert, auch noch Wärmeenergie für 100. Wenn sie im Ort oder am Ortsrand steht, können Anwohner und öffentliche Einrichtungen über Nahwärmenetze profitieren. Allein durch die konsequente Nutzung der Abwärme aus Biogasanlagen können nach den Berechnungen des Biogas-Verbands rund 1 Mio. Haushalte versorgt und 2 % des aus Russland importierten Gases eingespart werden.

Natürlich hat auch das Thema Biogas Schattenseiten. Eine davon ist der ausufernde Anbau von Mais, der dadurch ausgelöst wurde. Immer wieder gibt es auch Meldungen über Störfälle, die nach Austritt von Gülle oder Substrat zu schweren Umweltschäden führen. Ein Problem ist ebenfalls, dass ein Teil des Methans entweicht und damit CO2. Auf der anderen Seite entweicht noch viel mehr Methan in die Atmosphäre, wenn Gülle ungenutzt beim Landwirt gelagert wird. So gesehen ist ihre Verwertung in einer Biogasanlage die ganz klar bessere Lösung für die Umwelt.

Donnerstag, 7.04.2022, 08:45 Uhr
Günter Drewnitzky

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.