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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren

"Analysten sind keine Wahrsager"

Ist der Derivatehandel „gefährliche“ Spekulation oder ist er notwendig, um physische Energiekontrakte abzusichern? Diese Frage beschäftigte 2002 die Energiebranche.
Im Jahr 2000 war sie als Deutsche Stadtwerke-Allianz gestartet und dann im Mai 2001 als Citiworks AG in das operative Geschäft eingestiegen. Gesellschafter waren zunächst die Stadtwerke München, die Stadtwerke Mainz und die Hessische Elektrizitäts-AG (Heag) in Darmstadt. Zwischenzeitlich wickelte das Unternehmen den komplettem Stromhandel und das Portfoliomanagement für die Muttergesellschaften ab, belieferte Großunternehmen aus der Industrie wie Siemens, die Oetker-Gruppe oder MAN mit Energie und richtete gemeinsam mit anderen Stadtwerken eine Online-Plattform für den Intraday-Handel ein.
 
Nach dem Rückzug der Mainzer und Münchner Stadtwerke zog Citiworks 2012 von der bayerischen Landeshauptstadt nach Darmstadt um und wurde in die Heag integriert. Heute ist das Unternehmen eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Darmstädter Entega und beschafft Energie für die Vertriebsgesellschaften im Konzern. Es vermarktet darüber hinaus das Kraftwerksportfolio und die EEG-Anlagen der Entega und ist als Energiehandelshaus und Dienstleister für Dritte tätig.
 
Im Jahr 2002 steckte der Energiehandel noch in den Kinderschuhen und es wurde viel darüber diskutiert, inwieweit der Handel mit Derivaten zur Absicherung physischer Kontrakte notwendig ist oder als spekulatives Geschäft die Risiken der Energieversorger erhöht.
 
Im Frühjahr 2002 sprach E&M-Redakteur Fritz Wilhelm mit Thomas Reukauf, damals Leiter des Trading Floors von Citiworks, über aktuelle Handelsthemen. Kurz zuvor hatte sich das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (Bakred) zu erneut Wort gemeldet und die Energiebranche darauf hingewiesen, dass das Geschäft mit Energiederivaten genehmigungspflichtig sein kann.
 
Thomas Reukauf (hier ein Bild von 2005), Leiter Trading, Citiworks AG
Quelle: Ruhrgas


E&M: Herr Reukauf, zwischen Beschaffungsoptimierung und Risikomanagement einerseits und Spekulation andererseits verläuft ein schmaler Grat. Auf welcher Seite steht Citiworks?

Reukauf: Unsere Handelsstrategie geht über die reine Beschaffungsoptimierung hinaus. Alles, was wir machen, lässt sich aber immer noch problemlos unter dem Begriff Risikomanagement zusammenfassen. Mit Spielerei hat das nichts zu tun. Es gibt immer einen physischen Bezug – auch für unsere Geschäfte an den Börsen. Leider lag der Terminmarkt an der EEX im vergangenen Jahr weitgehend brach. Mit der fusionierten EEX wird sich das hoffentlich ändern und uns neue Möglichkeiten für unser Risikomanagement eröffnen.

E&M: Dann haben Sie sicher auch schon die Erlaubnis für das Erbringen von Finanzdienstleistungen beim BAKred beantragt.

Reukauf: Ja, das Genehmigungsverfahren läuft bereits.

E&M: … und Ihre gegenwärtigen Aktivitäten im Terminmarkt sind nicht genehmigungspflichtig?

Reukauf: Zurzeit betreiben wir Terminhandel nur im Rahmen des genehmigungsfreien Eigengeschäftes, zur Absicherung unserer eigenen physischen Positionen, und für unsere Konzernmütter. Aber wir verhalten uns im Genehmigungsverfahren sehr aktiv. Deshalb sind wir zuversichtlich, in absehbarer Zeit die Erlaubnis zu haben, um dann unsere Aktivitäten ausweiten zu können.

E&M: Welche finanziellen Handelsprodukte spielen für Sie derzeit eine Rolle?

Reukauf: Wir handeln jetzt schon Optionen, allerdings keine exotischen Produkte. Von Produkten, für die uns keine Bewertungsmethoden zur Verfügung stehen und für die wir also keine Risikoabschätzung durchführen können, lassen wir die Finger. Für jedes Produkt, das wir handeln, haben wir eine Freigabe durch das Risiko-Controlling-Komitee nach einem Product-Approval-Prozess erhalten.

E&M: Wer sitzt in diesem Komitee?

Reukauf: Das sind die Leiter Finanzen und Leiter Controlling unserer Mutterhäuser. Darüber hinaus noch die Vorstände und die Leiter des Handels und des Risikocontrolling von Citiworks.

E&M: Die Bewertung der verschiedenen Produkte erfordert aber ausgesprochenes Handels-Know-how.

Reukauf: Das stimmt. Aber das ist auch durch die Vertreter in diesem Gremium abgedeckt. Wer aus der Finanzwirtschaft kommt, kann sich in der Regel sehr schnell in die spezifischen Bewertungsfragen einarbeiten. Außerdem ist es nur von Vorteil, wenn jemand bei den Besprechungen dabei ist, der sozusagen von außen einen kritischen Blick auf die Fragestellung wirft. Das tut dem ganzen Prozess nur gut. Die Vertreter aus Handel und Risikocontrolling der Citiworks sind aber auf jeden Fall Fachleute mit dem entsprechenden Handels-Know-how.

E&M: Wer lieferte die Informationsgrundlage für das tägliche Geschäft?

Reukauf: Drei Analysten kümmern sich bei uns um den Markt, zwei um Strom, einer um Gas. Sie betrachten allerdings die Entwicklung nicht nur ex post, sondern erstellen auch Prognosen. Aber Analysten sind keine Wahrsager. Die Mischung macht’s: Eine fundierte Marktanalyse, die Erfahrung der Händler und eine Handelsstrategie, die von vornherein Geschäfte mit nicht bewertbaren beziehungsweise beherrschbaren Risiken ausschließt.

E&M: Aber nicht alle Risiken haben einen direkten Marktbezug, wie die Enron-Krise gezeigt hat.

Reukauf: Dass Enron als Handelspartner jemals ausfallen könnte, hat wohl kaum jemand geglaubt. Entsprechend haben vermutlich viele Marktteilnehmer noch vor einem Jahr bedenkenlos mit Enron gehandelt. Warum sollte man sich auch ein Unternehmen mit einem Triple-A-Rating genauer anschauen. Die Erfahrung hat uns alle aber eines Besseren belehrt. Grundsätzlich sehen wir erst einmal auf das Rating, das unsere Handelspartner bei Standard & Poors haben, sofern sie dort überhaupt erfasst sind. Von Fall zu Fall überlegen wir uns auch, ob es sinnvoll ist, Hermes Kreditausfallversicherungen abzuschließen. Und schließlich haben wir Vorgaben, die festlegen, wie hoch eine offene Monatsrechnung mit einem Handelspartner maximal sein darf.

E&M: Welche Risiken, außer dem Marktpreis- und dem Gegenparteirisiko halten Sie für wichtig?

Reukauf: Vor allem das operative Risiko. Wenn man mit einer Mannschaft von etwa 20 Leuten arbeitet, die zum Teil schnell Entscheidungen treffen müssen und auf vielfältige Weise miteinander kommunizieren, gibt es eine Vielzahl potenzieller Fehlerquellen. Denken Sie nur daran, was passiert, wenn man bei einer Fahrplananmeldung eine oder zwei Nullen zu viel oder zu wenig eingibt. Das sind Risiken, die es früher nicht gab und zu deren Absicherung wir uns nach und nach die passenden Konzepte erarbeitet haben.

Freitag, 13.05.2022, 14:34 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren
"Analysten sind keine Wahrsager"
Ist der Derivatehandel „gefährliche“ Spekulation oder ist er notwendig, um physische Energiekontrakte abzusichern? Diese Frage beschäftigte 2002 die Energiebranche.
Im Jahr 2000 war sie als Deutsche Stadtwerke-Allianz gestartet und dann im Mai 2001 als Citiworks AG in das operative Geschäft eingestiegen. Gesellschafter waren zunächst die Stadtwerke München, die Stadtwerke Mainz und die Hessische Elektrizitäts-AG (Heag) in Darmstadt. Zwischenzeitlich wickelte das Unternehmen den komplettem Stromhandel und das Portfoliomanagement für die Muttergesellschaften ab, belieferte Großunternehmen aus der Industrie wie Siemens, die Oetker-Gruppe oder MAN mit Energie und richtete gemeinsam mit anderen Stadtwerken eine Online-Plattform für den Intraday-Handel ein.
 
Nach dem Rückzug der Mainzer und Münchner Stadtwerke zog Citiworks 2012 von der bayerischen Landeshauptstadt nach Darmstadt um und wurde in die Heag integriert. Heute ist das Unternehmen eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Darmstädter Entega und beschafft Energie für die Vertriebsgesellschaften im Konzern. Es vermarktet darüber hinaus das Kraftwerksportfolio und die EEG-Anlagen der Entega und ist als Energiehandelshaus und Dienstleister für Dritte tätig.
 
Im Jahr 2002 steckte der Energiehandel noch in den Kinderschuhen und es wurde viel darüber diskutiert, inwieweit der Handel mit Derivaten zur Absicherung physischer Kontrakte notwendig ist oder als spekulatives Geschäft die Risiken der Energieversorger erhöht.
 
Im Frühjahr 2002 sprach E&M-Redakteur Fritz Wilhelm mit Thomas Reukauf, damals Leiter des Trading Floors von Citiworks, über aktuelle Handelsthemen. Kurz zuvor hatte sich das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (Bakred) zu erneut Wort gemeldet und die Energiebranche darauf hingewiesen, dass das Geschäft mit Energiederivaten genehmigungspflichtig sein kann.
 
Thomas Reukauf (hier ein Bild von 2005), Leiter Trading, Citiworks AG
Quelle: Ruhrgas


E&M: Herr Reukauf, zwischen Beschaffungsoptimierung und Risikomanagement einerseits und Spekulation andererseits verläuft ein schmaler Grat. Auf welcher Seite steht Citiworks?

Reukauf: Unsere Handelsstrategie geht über die reine Beschaffungsoptimierung hinaus. Alles, was wir machen, lässt sich aber immer noch problemlos unter dem Begriff Risikomanagement zusammenfassen. Mit Spielerei hat das nichts zu tun. Es gibt immer einen physischen Bezug – auch für unsere Geschäfte an den Börsen. Leider lag der Terminmarkt an der EEX im vergangenen Jahr weitgehend brach. Mit der fusionierten EEX wird sich das hoffentlich ändern und uns neue Möglichkeiten für unser Risikomanagement eröffnen.

E&M: Dann haben Sie sicher auch schon die Erlaubnis für das Erbringen von Finanzdienstleistungen beim BAKred beantragt.

Reukauf: Ja, das Genehmigungsverfahren läuft bereits.

E&M: … und Ihre gegenwärtigen Aktivitäten im Terminmarkt sind nicht genehmigungspflichtig?

Reukauf: Zurzeit betreiben wir Terminhandel nur im Rahmen des genehmigungsfreien Eigengeschäftes, zur Absicherung unserer eigenen physischen Positionen, und für unsere Konzernmütter. Aber wir verhalten uns im Genehmigungsverfahren sehr aktiv. Deshalb sind wir zuversichtlich, in absehbarer Zeit die Erlaubnis zu haben, um dann unsere Aktivitäten ausweiten zu können.

E&M: Welche finanziellen Handelsprodukte spielen für Sie derzeit eine Rolle?

Reukauf: Wir handeln jetzt schon Optionen, allerdings keine exotischen Produkte. Von Produkten, für die uns keine Bewertungsmethoden zur Verfügung stehen und für die wir also keine Risikoabschätzung durchführen können, lassen wir die Finger. Für jedes Produkt, das wir handeln, haben wir eine Freigabe durch das Risiko-Controlling-Komitee nach einem Product-Approval-Prozess erhalten.

E&M: Wer sitzt in diesem Komitee?

Reukauf: Das sind die Leiter Finanzen und Leiter Controlling unserer Mutterhäuser. Darüber hinaus noch die Vorstände und die Leiter des Handels und des Risikocontrolling von Citiworks.

E&M: Die Bewertung der verschiedenen Produkte erfordert aber ausgesprochenes Handels-Know-how.

Reukauf: Das stimmt. Aber das ist auch durch die Vertreter in diesem Gremium abgedeckt. Wer aus der Finanzwirtschaft kommt, kann sich in der Regel sehr schnell in die spezifischen Bewertungsfragen einarbeiten. Außerdem ist es nur von Vorteil, wenn jemand bei den Besprechungen dabei ist, der sozusagen von außen einen kritischen Blick auf die Fragestellung wirft. Das tut dem ganzen Prozess nur gut. Die Vertreter aus Handel und Risikocontrolling der Citiworks sind aber auf jeden Fall Fachleute mit dem entsprechenden Handels-Know-how.

E&M: Wer lieferte die Informationsgrundlage für das tägliche Geschäft?

Reukauf: Drei Analysten kümmern sich bei uns um den Markt, zwei um Strom, einer um Gas. Sie betrachten allerdings die Entwicklung nicht nur ex post, sondern erstellen auch Prognosen. Aber Analysten sind keine Wahrsager. Die Mischung macht’s: Eine fundierte Marktanalyse, die Erfahrung der Händler und eine Handelsstrategie, die von vornherein Geschäfte mit nicht bewertbaren beziehungsweise beherrschbaren Risiken ausschließt.

E&M: Aber nicht alle Risiken haben einen direkten Marktbezug, wie die Enron-Krise gezeigt hat.

Reukauf: Dass Enron als Handelspartner jemals ausfallen könnte, hat wohl kaum jemand geglaubt. Entsprechend haben vermutlich viele Marktteilnehmer noch vor einem Jahr bedenkenlos mit Enron gehandelt. Warum sollte man sich auch ein Unternehmen mit einem Triple-A-Rating genauer anschauen. Die Erfahrung hat uns alle aber eines Besseren belehrt. Grundsätzlich sehen wir erst einmal auf das Rating, das unsere Handelspartner bei Standard & Poors haben, sofern sie dort überhaupt erfasst sind. Von Fall zu Fall überlegen wir uns auch, ob es sinnvoll ist, Hermes Kreditausfallversicherungen abzuschließen. Und schließlich haben wir Vorgaben, die festlegen, wie hoch eine offene Monatsrechnung mit einem Handelspartner maximal sein darf.

E&M: Welche Risiken, außer dem Marktpreis- und dem Gegenparteirisiko halten Sie für wichtig?

Reukauf: Vor allem das operative Risiko. Wenn man mit einer Mannschaft von etwa 20 Leuten arbeitet, die zum Teil schnell Entscheidungen treffen müssen und auf vielfältige Weise miteinander kommunizieren, gibt es eine Vielzahl potenzieller Fehlerquellen. Denken Sie nur daran, was passiert, wenn man bei einer Fahrplananmeldung eine oder zwei Nullen zu viel oder zu wenig eingibt. Das sind Risiken, die es früher nicht gab und zu deren Absicherung wir uns nach und nach die passenden Konzepte erarbeitet haben.

Freitag, 13.05.2022, 14:34 Uhr
Fritz Wilhelm

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