E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Ukraine-Krise  - Analyse: Erdgas wird von Ramschware zum Luxusgut
Quelle: Fotolia / tomas
Ukraine-Krise

Analyse: Erdgas wird von Ramschware zum Luxusgut

Der Markt hat immer recht, so lautet es oft in Händlerkreisen. Er zeigt nun auch, wie sehr er den Aussagen der Bundesregierung, dass die deutsche Gasversorgung gesichert sei, vertraut. 
Mit der eindeutig völkerrechtswidrigen Invasion der russischen Armee in die Ukraine, ist nun der Worstcase zum Basisszenario geworden. Dies wird Folgen für die Gaspreise in Europa haben.

Zumindest am Morgen des 24. Februar floss noch russisches Gas in die EU, wobei über die Ukraine sogar etwas mehr Gas als am Vortag am slowakischen Übergangspunkt in Velke Kapusany ankam. Die Lieferung über Nord Stream 1 blieb noch im Rahmen normaler Schwankungen. Halten die Lieferungen auch weiterhin an, sollte die Versorgung des nordwestlichen Europas mit Erdgas für auch den Rest der Wintersaison gesichert sein.

Aber die Notierungen für den Day ahead sprangen am Leitmarkt, dem niederländischen Handelspunkt TTF, im Tagesvergleich von 89,08 auf 123,55 Euro je Megawattstunde − ein Preissprung von 38,7 %. Diese massive Verteuerung lässt sich nicht mit dem Wetter erklären: Die Meteorologen stellten für den 25. Februar einen Anstieg des Beitrags der Erneuerbaren in Aussicht und auch die Prognosen für die durchschnittlichen Tagestemperaturen wurden gegenüber der vorherigen Schätzung nach oben korrigiert. Der Markt preist also das Risiko ein, dass schon sehr kurzfristig die russischen Gaslieferungen zum Erliegen kommen könnten. Dies impliziert, dass es am Gasmarkt erhebliche Zweifel an einer sicheren Versorgung gibt.

Mehr Gaseinspeicherung im Sommer nötig

Nach den jüngsten Daten von Gas Infrastructure Europe waren die Gasspeicher in Deutschland beginnend am 23. Februar nur noch zu 30,1 % gefüllt. Selbst für den Fall, dass das Gasangebot nahezu unverändert bleibt und ein Ausfall russischer Gaslieferung im gleichen Umfang kompensiert wird, ist damit zu rechnen, dass bis zum Tiefpunkt die Kapazitätsauslastung das entsprechende Minimum aus dem April 2021 von 25 % für Deutschland und von 29,3 % für die EU unterschritten wird.

Die Folge: Im Sommer müsste dann mehr Gas als in der Sommersaison 2021 eingespeichert werden, nur um auf den gleichen Stand bei der Kapazitätsauslastung am Septemberultimo zu kommen. Der Winter 2021/22 ist bislang milder als normal ausgefallen. Dennoch sind die Speicherbestände kräftig gefallen, obgleich neben Gas aus Russland auch wieder mehr LNG angeliefert wurde.Die Speicherauslastungen sollten jedoch künftig so hoch sein, dass es auch bei einem sehr kalten Winter zu keinen Ausfällen der Versorgung kommt. Dies bedeutet, dass die Speicher zum Gipfel um rund 25 % der Kapazität höher als im vierten Quartal 2021 ausgelastet sein sollten.

Ausschluss aus SWIFT nicht per se ratsam

Selbst für den nun eingetretenen Worstcase gibt es noch zwei Alternativen. Im besten Fall wird Russland weiterhin seine Lieferverpflichtungen erfüllen, aber kein weiteres Gas über die vertraglich vereinbarten Volumina liefern. In diesem Fall ist damit zu rechnen, dass in der Sommersaison weniger Gas aus Russland geliefert wird als im Vorjahreszeitraum. Dies bedeutet, dass dann auch höhere LNG-Lieferungen erforderlich sein werden.

Der britische Premier Boris Johnson fordert, Russland vom SWIFT-System auszuschließen. In diesem Fall wäre unklar, wie die Gaslieferungen aus Russland vergütet werden sollen. Gazprom ist eine private Aktiengesellschaft, der Mehrheitseigentümer ist die Russische Föderation. Gas weiter zu liefern und zu wissen, dass hierfür nie mit einer Vergütung zu rechnen ist, wäre auch nach westlichen Standards ein krimineller Akt des Vorstands. Es ist zweifelhaft, ob der Kreml dann als Großaktionär über den Aufsichtsrat die Anordnung erteilt, weiterhin Gas in die EU zu senden.

Preiskampf um Erdgas wahrscheinlich

Es stellt sich die Frage, ob hinreichend Gas für die EU und in der Sommersaison geliefert werden kann und auch im nächsten Winter die LNG-Lieferungen nicht unter den derzeitigen Umfang fallen und die Minderlieferungen aus Russland kompensieren können. Dies hängt auch vom Wetter ab: In einem heißen Sommer und kalten Winter wird auch Asien wieder hohe Mengen an LNG benötigen. Sollte es zum schlimmsten Fall kommen, ist mit einem Preiskampf um Erdgas zu rechnen. Ferner ist die Frage zu stellen, ob die Kapazität der LNG-Terminals ausreicht, um einen vollständigen Ausfall russischer Gaslieferungen in die EU auszugleichen.

Vor dieser Hintergrund könnten Preissprünge von über 50 % keine Eintagsfliegen bleiben. Die historischen Höchststände aus dem Dezember 2021 könnten schon bald wieder erreicht und auch übertroffen werden. Allerdings besteht nun die Gefahr, dass hohe Gaspreise beim Frontjahr von 140 Euro je Megawattstunde oder beim Frontmonat von 187,79 Euro nicht temporäre, kurzfristige Phänomene bleiben, sondern zum "new normal" an den Energiemärkten werden. War Erdgas im Mai 2020 mit einem Preis von 1,75 Euro beim Day ahead noch eine Ramschware, so ist es jetzt auf dem besten Weg zum Luxusgut zu werden.

Montag, 28.02.2022, 11:15 Uhr
Peter Fertig
Energie & Management > Ukraine-Krise  - Analyse: Erdgas wird von Ramschware zum Luxusgut
Quelle: Fotolia / tomas
Ukraine-Krise
Analyse: Erdgas wird von Ramschware zum Luxusgut
Der Markt hat immer recht, so lautet es oft in Händlerkreisen. Er zeigt nun auch, wie sehr er den Aussagen der Bundesregierung, dass die deutsche Gasversorgung gesichert sei, vertraut. 
Mit der eindeutig völkerrechtswidrigen Invasion der russischen Armee in die Ukraine, ist nun der Worstcase zum Basisszenario geworden. Dies wird Folgen für die Gaspreise in Europa haben.

Zumindest am Morgen des 24. Februar floss noch russisches Gas in die EU, wobei über die Ukraine sogar etwas mehr Gas als am Vortag am slowakischen Übergangspunkt in Velke Kapusany ankam. Die Lieferung über Nord Stream 1 blieb noch im Rahmen normaler Schwankungen. Halten die Lieferungen auch weiterhin an, sollte die Versorgung des nordwestlichen Europas mit Erdgas für auch den Rest der Wintersaison gesichert sein.

Aber die Notierungen für den Day ahead sprangen am Leitmarkt, dem niederländischen Handelspunkt TTF, im Tagesvergleich von 89,08 auf 123,55 Euro je Megawattstunde − ein Preissprung von 38,7 %. Diese massive Verteuerung lässt sich nicht mit dem Wetter erklären: Die Meteorologen stellten für den 25. Februar einen Anstieg des Beitrags der Erneuerbaren in Aussicht und auch die Prognosen für die durchschnittlichen Tagestemperaturen wurden gegenüber der vorherigen Schätzung nach oben korrigiert. Der Markt preist also das Risiko ein, dass schon sehr kurzfristig die russischen Gaslieferungen zum Erliegen kommen könnten. Dies impliziert, dass es am Gasmarkt erhebliche Zweifel an einer sicheren Versorgung gibt.

Mehr Gaseinspeicherung im Sommer nötig

Nach den jüngsten Daten von Gas Infrastructure Europe waren die Gasspeicher in Deutschland beginnend am 23. Februar nur noch zu 30,1 % gefüllt. Selbst für den Fall, dass das Gasangebot nahezu unverändert bleibt und ein Ausfall russischer Gaslieferung im gleichen Umfang kompensiert wird, ist damit zu rechnen, dass bis zum Tiefpunkt die Kapazitätsauslastung das entsprechende Minimum aus dem April 2021 von 25 % für Deutschland und von 29,3 % für die EU unterschritten wird.

Die Folge: Im Sommer müsste dann mehr Gas als in der Sommersaison 2021 eingespeichert werden, nur um auf den gleichen Stand bei der Kapazitätsauslastung am Septemberultimo zu kommen. Der Winter 2021/22 ist bislang milder als normal ausgefallen. Dennoch sind die Speicherbestände kräftig gefallen, obgleich neben Gas aus Russland auch wieder mehr LNG angeliefert wurde.Die Speicherauslastungen sollten jedoch künftig so hoch sein, dass es auch bei einem sehr kalten Winter zu keinen Ausfällen der Versorgung kommt. Dies bedeutet, dass die Speicher zum Gipfel um rund 25 % der Kapazität höher als im vierten Quartal 2021 ausgelastet sein sollten.

Ausschluss aus SWIFT nicht per se ratsam

Selbst für den nun eingetretenen Worstcase gibt es noch zwei Alternativen. Im besten Fall wird Russland weiterhin seine Lieferverpflichtungen erfüllen, aber kein weiteres Gas über die vertraglich vereinbarten Volumina liefern. In diesem Fall ist damit zu rechnen, dass in der Sommersaison weniger Gas aus Russland geliefert wird als im Vorjahreszeitraum. Dies bedeutet, dass dann auch höhere LNG-Lieferungen erforderlich sein werden.

Der britische Premier Boris Johnson fordert, Russland vom SWIFT-System auszuschließen. In diesem Fall wäre unklar, wie die Gaslieferungen aus Russland vergütet werden sollen. Gazprom ist eine private Aktiengesellschaft, der Mehrheitseigentümer ist die Russische Föderation. Gas weiter zu liefern und zu wissen, dass hierfür nie mit einer Vergütung zu rechnen ist, wäre auch nach westlichen Standards ein krimineller Akt des Vorstands. Es ist zweifelhaft, ob der Kreml dann als Großaktionär über den Aufsichtsrat die Anordnung erteilt, weiterhin Gas in die EU zu senden.

Preiskampf um Erdgas wahrscheinlich

Es stellt sich die Frage, ob hinreichend Gas für die EU und in der Sommersaison geliefert werden kann und auch im nächsten Winter die LNG-Lieferungen nicht unter den derzeitigen Umfang fallen und die Minderlieferungen aus Russland kompensieren können. Dies hängt auch vom Wetter ab: In einem heißen Sommer und kalten Winter wird auch Asien wieder hohe Mengen an LNG benötigen. Sollte es zum schlimmsten Fall kommen, ist mit einem Preiskampf um Erdgas zu rechnen. Ferner ist die Frage zu stellen, ob die Kapazität der LNG-Terminals ausreicht, um einen vollständigen Ausfall russischer Gaslieferungen in die EU auszugleichen.

Vor dieser Hintergrund könnten Preissprünge von über 50 % keine Eintagsfliegen bleiben. Die historischen Höchststände aus dem Dezember 2021 könnten schon bald wieder erreicht und auch übertroffen werden. Allerdings besteht nun die Gefahr, dass hohe Gaspreise beim Frontjahr von 140 Euro je Megawattstunde oder beim Frontmonat von 187,79 Euro nicht temporäre, kurzfristige Phänomene bleiben, sondern zum "new normal" an den Energiemärkten werden. War Erdgas im Mai 2020 mit einem Preis von 1,75 Euro beim Day ahead noch eine Ramschware, so ist es jetzt auf dem besten Weg zum Luxusgut zu werden.

Montag, 28.02.2022, 11:15 Uhr
Peter Fertig

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.