Bild: Andre Laaks, RWE AG
Nach zwölf Jahren in der Führungsetage bei RWE hinterlässt Rolf Martin Schmitz nach einigen Irrungen und Wirrungen einen ganz anderen Konzern, als er ihn 2009 vorgefunden hat.
Der Countdown für seine letzten Arbeitstage läuft. Ende April ist für Rolf Martin Schmitz nach 35 Jahren in der Energiewirtschaft Schluss mit dem aktiven Berufsleben. Unmittelbar nach der am 28. April auch in diesem Jahr digital stattfindenden Hauptversammlung des RWE-Konzerns wird er den Staffelstab für den Vorstandsvorsitz an seinen Nachfolger weiterreichen. Dass ihn sein Vorstandskollege Markus Krebber beerbt, hatte der Aufsichtsrat des Essener Traditionsunternehmens bereits im vergangenen Frühjahr festgelegt.
Schmitz ist gebürtiger Rheinländer, was bei seiner Stimmmelodie nur schwer zu überhören ist. Den Mönchengladbacher, der noch heute in seiner Heimatstadt wohnt, als den vielleicht letzten Ruhrbaron zu bezeichnen, mag geografisch gesehen Humbug sein. Von seiner Bedeutung gehört er zweifellos zu den Repräsentanten einer Zeit, in der Kohle und Stahl den Puls des Ruhrgebiets bestimmten. Dass die vor mehr als 120 Jahren gegründete RWE zu dieser Ära an der Ruhr gehört, ist unbestritten. Schmitz steht viel mehr in der Ruhrbaron-Tradition als ein Johannes Teyssen, der − welch ein Zufall − fast zeitgleich beim seit einigen Jahren auch in Essen ansässigen Eon-Konzern seinen Chefsessel räumt.
Dass ausgerechnet Schmitz im RWE-Konzern, wegen seiner dominanten Stellung nicht nur an der Ruhr jahrzehntelang nur der „Wattikan“ genannt, die Weichen für dessen Ende bei der Kohle- und Atomkraft eingeleitet hat, nennt Reiner Priggen „ein Paradoxon“: „Der Mann hat RWE nicht aus Ãœberzeugung auf Grünkurs getrimmt. Schmitz ist politisch gesteuert und lässt sich die Neuausrichtung mit Steuergeldern in Milliardenhöhe subventionieren.“ Auf rund 5 Mrd. Euro beziffert RWE selbst die Gesamtsumme, die unter anderem für die Rückzahlung der Brennelementesteuer, die Entschädigung für den Atomausstieg oder die Kompensationszahlungen für das Aus bei der Kohleförderung und -verstromung zusammenkommen.
„Jede Energie hat ihre Zeit“
Die Wege des langjährigen Energieexperten der Grünen-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, der seit 2016 an der Spitze des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW steht, und von Schmitz haben sich immer wieder gekreuzt − auf politischem Terrain und in Diskussionsrunden. Ob er Schmitz auch schon früher auf dem Campus der RWTH Aachen getroffen habe, daran kann sich Priggen nicht erinnern: „Wir waren wohl beide zeitweilig am Lehrstuhl für Kältetechnik tätig, sind uns aber dort nie begegnet.“
Seit gut einem Jahr ist Schmitz bereits auf Abschiedstour − medial zumindest. Dabei überrascht er mitunter mit Erkenntnissen, die von einem RWE-Chef schwerlich erwartet werden. Er habe sich bei der Geschwindigkeit getäuscht, „in der die erneuerbaren Energien wirtschaftlich geworden sind“, räumte Schmitz beispielsweise gegenüber dem Handelsblatt ein. Dass RWE heute in mehr als 30 Projekten auf allen Stufen der Wasserstoffherstellung mit an Bord ist und mittlerweile bei der RWE-Erzeugungssparte für dieses Zukunftsthema ein eigenes Vorstandsressort geschaffen hat, hängt genau mit diesen Erfahrungen zusammen: „Wir verpassen nicht noch mal den Zug“, meinte der RWE-Chef gegenüber der Welt. Was sich irgendwie altersweise anhört. Kein Wunder, dass er mitunter wie ein Energie-Philosoph klingt: „Jede Energie hat ihre Zeit, inzwischen hat die Ära der erneuerbaren Energien begonnen.“
In die Annalen der RWE-Unternehmensgeschichte wird Schmitz sicherlich als Doppelaussteiger eingehen, als Mann, der die Weichenstellungen für den Ausstieg aus der fossil-atomaren Erzeugung eingeleitet hat. Dieser Weg war nicht vorgezeichnet, als ihn Jürgen Großmann, auch so eine Art barocker Ruhrbaron, 2009 von der Kölner Rheinenergie nach Essen lotste. Schnell zählte der ausgewiesene Energiefachmann Schmitz neben dem von Großmann zuvor schon abgeworbenen Leonhard Birnbaum, ab 1. April übrigens neuer Eon-Chef, zu dessen Kronprinzen.
Zu beider Überraschung setzte der Aufsichtsrat ihnen im Sommer 2011 den Niederländer Peter Terium vor die Nase, der bei RWE 2003 als Leiter des Konzerncontrollings begonnen hatte. Birnbaum wechselte danach zu Eon, Schmitz blieb als Vize die Nummer zwei hinter Terium.
Seine Karriere in Essen schien endgültig in der Sackgasse gelandet zu sein, als Terium 2016 das RWE-Tochterunternehmen Innogy (Beteiligung: 77 %) aus der Taufe gehoben hatte. Es galt als Hoffnungsträger für den nach dem Atomausstieg finanziell arg ins Straucheln geratenen Tanker RWE. Innogy, deren Vorstandsvorsitz Terium übernahm, stand für hippe Themen wie Ausbau erneuerbarer Energien, Digitalisierung und neue Kundenlösungen. Schmitz übernahm zwar endlich bei der „alten“ RWE AG den Chefsessel, das Unternehmen galt wie Uniper nach der Abspaltung von Eon aber als eine Art Resterampe, energiewirtschaftlich aus der Zeit gefallen.
Das Meisterstück mit dem Eon-Innogy-RWE-Deal
Schneller als gedacht änderte sich die Hackordnung bei RWE und Innogy. Terium stolperte kurz vor Weihnachten 2017, so die offizielle Version, über eine Gewinnwarnung, was zu seinem Aus führte. Als die Energiewelt noch auf seinen Nachfolger wartete, schmiedete Schmitz zusammen mit Johannes Teyssen „sein Meisterstück“ (O-Ton Priggen): ein in der deutschen Energiewirtschaft noch nicht gekanntes Tauschgeschäft. Eon übernahm von Innogy, auf deren Zerschlagung sich das Duo verständigt hatte, das komplette Netz- und Vertriebsgeschäft. Bei RWE landeten nicht nur alle grünen Assets von Innogy, sondern auch die von Eon. Ãœber Nacht bekam das schwarz-braune Erzeugungsportfolio von RWE viele grüne Flecken: „Dank dieses Deals haben wir beim Aufbau unseres regenerativen Portfolios zehn Jahre Zeit gewonnen“, kommentierte Schmitz im Frühjahr 2018 die Einigung, die die EU-Kommission im Herbst 2019 absegnete. Die erneuerbaren Energien hätten RWE wieder eine Perspektive gegeben.
Dass RWE heute (viel zu früh) als Ökostromerzeuger bezeichnet wird, mag die Marketingstrategen in der Essener Firmenzentrale freuen. Fakt ist, das der Grünstromanteil am Erzeugungsmix derzeit bei knapp 20 % liegt. Dieser wird sicherlich mit jedem Braunkohlekraftwerk, das vom Netz geht, steigen, vorerst bleibt RWE in Europa jedoch größter CO2-Emittent in der Energiewirtschaft.
Als „janusköpfig“ charakterisiert Oliver Krischer den scheidenden RWE-Chef: „Während Schmitz immer wieder RWEs grüne Zukunft hochlobt, lässt er gleichzeitig im Rheinischen Braunkohlerevier die Abrissbagger rollen, um überflüssigerweise die letzten dort verbliebenen Dörfer plattzumachen“, wettert der grüne Bundestagsabgeordnete, der selbst in der Region lebt. Dass es zwischen der „neuen“ RWE (so der Slogan aus Essen) auf der einen sowie Umwelt- und Klimaschützern auf der anderen Seite eines Tages zum Burgfrieden kommt, ist für ihn unvorstellbar: „Dafür hat Schmitz mit seiner harten Gangart zu viel kaputt gemacht.“
Krischer erinnert daran, dass der RWE-Chef noch vor drei Jahren den Hambacher Forst für den weiteren Braunkohleabbau abholzen lassen wollte. Mit Worten wie „ein Stillstand des Hambacher Forstes ad hoc würde für uns etwa vier bis fünf Milliarden Euro bedeuten“ hatte Schmitz damals mantrahaft für eine vergiftete Stimmung gesorgt.
RWE werde sich mit Markus Krebber an der Spitze „hervorragend weiterentwickeln“, prognostizierte Schmitz auf seiner letzten Bilanzpressekonferenz Mitte März, „davon bin ich zutiefst überzeugt.“ Mit einem Milliardengewinn für das 2020er-Geschäftsjahr hat er zumindest finanziell das Fundament dafür gelegt.
Dass Krischer Schmitz‘ Prognose anders sieht, kommt nicht unerwartet: „Da der Konzern heute und in den kommenden Jahren sein Geld überwiegend im Ausland investiert, wird sein Stellenwert hierzulande nach dem Aus von Atom und Kohle deutlich sinken. Was gut so ist.“
Dienstag, 27.04.2021, 17:17 Uhr
Ralf Köpke
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