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100 Tage ist die schwarz-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen nun im Amt. Der Durchbruch in Wirtschafts- und Energiefragen steht noch aus, Kritik hagelt es von allen Seiten.
Diese erste Oktober-Woche wird nicht als Höhepunkt der ersten schwarz-grünen Koalition Nordrhein-Westfalens in die Geschichte eingehen. 100 Tage nach Aufnahme der Amtsgeschäfte des von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seiner Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne) geführten Kabinetts hagelt es Kritik von Verbänden und Klimaschutz-Initiativen. Die Schonzeit ist vorbei.
Die Botschaft, das Dorf Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier nicht vor den RWE-Baggern retten zu wollen, hatte Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur ans Ende einer Pressekonferenz gepackt, die sie zu Beginn der Woche gemeinsam mit ihrem Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, abgehalten hatte. Sie sollte möglichst als Randnotiz hinter der Ankündigung verblassen, den Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen in Absprache mit RWE auf 2030 vorzuziehen.
Neubaur: "Schwierige Zeiten für Grüne in Verantwortung"
Das Echo auf beide Meldungen fiel erwartbar aus. Der Kohleausstieg nicht mehr 2038, sondern bereits 2030, und damit 280 Mio. Tonnen in der Erde verbleibende Braunkohle – die vermeintliche Erfolgsnachricht entpuppt sich beim genauen Hinsehen als weniger glänzend. Schließlich ist Kohle auf lange Sicht weder Game-Changer der Energiewende noch Gewinnbringer. Dem schwarzen (und braunen) Gold, so die Auguren, stehe die fehlende Wirtschaftlichkeit lange vor 2038 bevor.
Umweltschutzgruppen, die große Hoffnungen in die Klimaschutz-Politik der NRW-Grünen setz(t)en, wollen entsprechend weiter um das zum Abriss freigegebene Dorf Lützerath kämpfen. Als hätte Neubaur es geahnt, dass Lützerath nicht der einzige Nackenschlag bleiben würde, unkte sie an Habecks Seite: „Es gibt keine schwierigeren Zeiten, um als Grüne in Regierungsverantwortung zu stehen.“
Recht hat sie. Denn die Erneuerbaren-Unternehmen scharren ebenfalls längst mit den Hufen. Pünktlich zum Ablauf der 100-Tage-Schonfrist für die neue Regierung meldet sich deren Lobbyorganisation, der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW), mit der Forderung nach „Tempo, Tempo, Tempo“ beim Windkraftausbau zu Wort. LEE-Vorsitzender Reiner Priggen, selbst Grüner, beklagt: „Von einer richtigen Aufbruchstimmung für die Windenergie in NRW ist bislang noch wenig zu spüren.“
Tempo beim Windkraftausbau "reicht hinten und vorne nicht"
Er garniert die Ungeduld mit Zahlen. NRW dümpelt demnach einem weiteren Jahr mit mäßigem Windenergieausbau entgegen. Bis Jahresende rechnet der Verband mit einem Bruttozubau, ohne demontierte Altanlagen, von maximal 400 MW. Die Landesregierung will allerdings bis Ende der Legislatur 1.000 Anlagen (im Schnitt 200 pro Jahr) zubauen, die bei angenommener Durchschnittskapazität von 5 MW je Turbine also ab sofort auf 1.000 MW im Jahr kommen müssten. Es fehlt danach mehr als das Doppelte. Priggen spricht von „Ernüchterung“: 400 MW sei zwar ein Aufwärtstrend gegenüber 2021 (331 MW), dies „reicht aber hinten und vorne nicht“ für die von Schwarz-Grün selbst ausgegebenen Ziele.
Der Forderungskatalog des LEE NRW ist bekannt: Abschaffung des 1.000-Meter-Mindestabstandes von Windturbinen zu Wohnsiedlungen, schnellere Genehmigungsverfahren, Öffnung von Waldflächen sowie Industrie- und Gewerbegebieten für Windkraft noch in diesem Jahr. Und die dazugehörige Flächenausweisung, die Habeck den Ländern vorgeschrieben hat, solle in NRW (1,8 % der Landesfläche) früher als Ende Mai 2024 erfolgen. „Besser wären mehr Flächen und eine schnelle planerische Festlegung der neuen Flächen", so Priggen.
Das einzige Lob des LEE NRW für Schwarz-Grün versteckt sich darin, den Anfang der Woche verkündeten Braunkohle-Ausstieg nicht zu kritisieren. Natürlich erwachsen daraus aus Priggens Sicht direkte Folgen für Düsseldorf: Wenn das rheinische Revier, wie von Wüst und Neubaur gerne betont, die erste „klimaneutrale Industrieregion Deutschlands“ werden soll, sei dies nur mit grünem Wasserstoff zu erreichen. Und die Ökoenergie für dessen Produktion müsse eben auch der beschleunigte Ausbau der Windenergie im Lande garantieren. Ein indirektes Lob, immerhin, aber besser als nichts nach 100 Tagen?
Freitag, 7.10.2022, 16:36 Uhr
Volker Stephan
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