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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Vorbereitungen für die Zahnarzt-Allee
Quelle: Shutterstock
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe

Vorbereitungen für die Zahnarzt-Allee

Die Verkehrswende findet vor allem in der Niederspannung statt − für Netzplaner, besonders in Metropolen wie Frankfurt am Main, eine große Herausforderung.
Vor fast genau einem Jahr hat die Mainova AG in Frankfurt gemeinsam mit ihren vorgelagerten Netzbetreibern Avacon und Tennet angekündigt, bis 2027 eine dreiviertel Milliarde Euro zu investieren, um die Leistung des Stromnetzes der Mainmetropole um mehr als 500 Megavoltampere (MVA) zu erhöhen. Dies entspricht einer Steigerung um rund 50 %. Konkret geht es um die Errichtung von Umspannwerken und den Ausbau von Transportleitungen an den Haupteinspeisepunkten sowie die Verstärkung der 110-kV-Leitungen in die 750.000-Einwohner-Stadt.

In Hessen insgesamt sinke zwar stetig der Stromverbrauch, sagte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) damals. Dass er in Frankfurt gegen den Trend zunehme, liege an der wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt und des Umlands, für die Region, für Deutschland und Europa. „Denn hier wohnt das Internet“, brachte es Constantin Alsheimer auf den Punkt. Der Vorstandsvorsitzende der Mainova bezog sich auf „DE-CIX“. Es handelt sich dabei um den größten Internetknoten weltweit, der in der hessischen Metropole sitzt und an dem einige Monate später am 3. November 2020 erstmals ein Datendurchsatz von 10 Terabit pro Sekunde erreicht wurde.

Rechenzentren sind die wesentlichen Treiber des Leistungsbedarfs

Mainova will aber nicht nur für den Internetknoten die Stromversorgung sichern, sondern auch für den Finanzsektor, den Flughafen und die wachsende Zahl an Rechenzentren, auf die laut Alsheimer mittlerweile 20 % des Stromabsatzes des Versorgers in Frankfurt entfallen. Sie sind der wesentliche Treiber des wachsenden Leistungsbedarfs.

„In den letzten vier Jahren wurden Anschlussverträge über jährlich 100 MVA abgeschlossen“, heißt es aktuell aus der Zentrale des Energieversorgers in Bockenheim. Und die Nachfrage der Rechenzentrumsbranche halte an. Die Lastspitzen im Netz der NRM Netzdienste Rhein-Main erreichen mittlerweile 800 MW. „Wir betrachten hier die Mittel- und die Hochspannungsebene“, stellt Thorsten Schmude klar, der bei der Mainova-Tochtergesellschaft die Netzkonzeption und -koordination verantwortet. Im Vergleich zu den Rechenzentren falle die Elektromobilität mit ihrem Strombedarf nicht sonderlich ins Gewicht − wohlgemerkt auf der Mittel- und Hochspannungsebene.

Auch wenn die Elektromobilität bei Weitem noch nicht das Ausmaß angenommen hat, wie es sich die Politik für den Anfang der aktuellen Dekade vorgestellt und gewünscht hat, zieht die Verkehrswende dennoch mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Netzbetreiber auf sich. „Denn die älteren Niederspannungsnetze sind ganz und gar nicht auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur ausgelegt“, erläutert Schmude und beschreibt die viele Jahrzehnte übliche Praxis der Netzplanung.

Die zugrunde liegende Annahme ging von einem Bedarf von maximal 8 kW aus, wenn im Haushalt alle Geräte wie Fernseher, Staubsauger, Herd und Waschmaschine gleichzeitig betrieben wurden. Selbst mit einem zusätzlichen 21-kW-Wasserboiler reichte ein Hausanschluss mit 30 kW auf jeden Fall aus. Man ging jedoch aufgrund statistischer Untersuchungen davon aus, dass durchschnittlich immer nur 1,4 kW gleichzeitig gezogen werden.

„Dieses Prinzip hat sich über 60 Jahre bewährt“, sagt der NRM-Prokurist. In den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren war jedoch noch nicht abzusehen, was künftig Realität werden könnte: In einer Wohngegend mit überwiegend Einfamilienhäusern werden viele Elektroautos an Wallboxen mit 11 oder gar 22 kW gleichzeitig geladen. „Dafür sind die Kabelstränge, die die Ortsnetzstationen verlassen und den Strom in die dahinterliegenden Straßenzüge transportieren, nicht vorgesehen“, versichert Schmude. Dort, wo sie die Trafostation verlassen, liegen die Kabel gehäuft in der Erde, sind die Summenströme am größten und ist die Wärmeentwicklung am stärksten. Hier führt eine Überlastung als Erstes zum Schaden.
 
Bei der Mainova-Netztochter geht man von einem Netzanschlussbedarf von 150 MVA im Jahr 2030 aus, um die dann vorhandenen öffentlichen und privaten Ladestationen sicher versorgen zu können
Quelle: Mainova AG

Dass das gleichzeitige Laden in der sogenannten „Zahnarzt-Allee“ im Moment noch eine sehr theoretische Annahme ist, räumt Schmude ein. Eine Lösung für die zunehmende Last durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur dürfe man jedoch nicht auf die lange Bank schieben, mahnt er. Bei der Mainova-Netztochter geht man von einem Netzanschlussbedarf von 150 MVA im Jahr 2030 aus, um die dann vorhandenen öffentlichen und privaten Ladestationen sicher versorgen zu können.

Mehr Intelligenz oder mehr Kupfer − das ist die Frage

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man das Netz mit mehr Intelligenz oder mehr Kupfer zukunftsfähig machen sollte. Eines ist allerdings klar: In einer Stadt wie Frankfurt können nicht die Straßen in allen Wohngegenden innerhalb von zwei, drei oder fünf Jahren aufgebuddelt werden, um zehn, zwanzig oder dreißig Jahre alte Kabel durch neue leistungsstärkere Leitungen zu ersetzen. „Das wäre volkswirtschaftlich völlig unsinnig und logistisch nicht umsetzbar“, sagt Schmude. „Deshalb brauchen wir mehr Intelligenz im Netz.“

Diese Forderung ist mittlerweile das Mantra der Netzplaner. Die technischen Voraussetzungen etwa für die Steuerung von Wallboxen sind grundsätzlich gegeben. Geräte, die von der KfW gefördert werden, haben eine Schnittstelle, über die sie ein Signal des Netzbetreibers empfangen können. Die Telekommunikationskanäle für die Übertragung der Signale sind vorhanden und ihre Nutzung wird immer kostengünstiger, egal ob via LTE, DSL oder Tonfrequenzrundsteuerungen. Es fehlt jedoch ein verlässlicher rechtlicher Rahmen. Denn eine Ausgestaltung des § 14a im Energiewirtschaftsgesetz, um den Einsatz steuerbarer Verbrauchseinrichtungen zu regeln, ist Anfang des Jahres gescheitert.

Das Steuern von Ladepunkten will der Frankfurter Netzbetreiber in verschiedenen Pilotprojekten testen. Denn es wird nach Schmudes Überzeugung zu einem festen Bestandteil des Netzbetreiberinstrumentariums werden − wann auch immer die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird. „Dafür bauen wir in den Ortsnetzstationen an den Kabelabgängen Sensoren ein. Dort messen wir über längere Zeit den Strom und vergleichen die Werte mit den Maximalwerten, die die Kabel aushalten. Bei Überschreitung der Maximalbelastung greifen wir ein“, so der NRM-Manager. Dann werde die Ladeleistung entsprechend der verfügbaren Anschlussleistung zeitweise gedrosselt. 

Zu Eingriffen der Netzbetreiber muss es aber nicht zwangsläufig kommen. Denn man könne durchaus davon ausgehen, dass sich das Laden in einem Straßenzug nicht allzu oft auf ein kleines Zeitfenster am Tag konzentriert. Homeoffice und flexible Arbeitszeiten werden nach Ansicht von Schmude dafür sorgen, dass nicht jeder Nutzer sein Fahrzeug täglich um 18.30 Uhr an die Wallbox hängt. Und schließlich werde sich auch bei den Fahrern die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht jede Kilowattstunde, die täglich verbraucht wird, am selben Tag nachgeladen werden muss.

„Man fährt ja nicht täglich nach der Arbeit zur Tankstelle, um die gerade verbrauchte Spritmenge nachzufüllen“, gibt er zu bedenken. Bei Reichweiten von 300 oder mehr Kilometern müssten seiner Ansicht nach viele Batterien voraussichtlich nur ein- bis zweimal die Woche geladen werden. Deshalb würden sich die Ladevorgänge sicherlich etwas entzerren.
 
„Laternenladen“ in Frankfurt keine gute Idee
 
Für E-Autofahrer, die in Mehrfamilienhäusern wohnen, wird es nach Einschätzung von Schmude künftig Lademöglichkeiten in Hubs geben. Parkhäuser oder Tiefgaragen könnten solche Ladestationen beherbergen. Auch für „Laternenparker“ sind solche Hubs, etwa an leicht zugänglichen Plätzen, denkbar, wo sie in ein oder zwei Nächten pro Woche die Batterien ihrer Fahrzeuge mit 11 oder 22 kW wieder aufladen.

Die Straßenlampen selbst als Ladepunkt zu nutzen, hält der NRM-Netzplaner für keine gute Idee, denn deren Leitungsquerschnitte und Kabeltypen lassen keine großen Anschlussleistungen zu. Von der Mainova-Tochtergesellschaft SRM Straßenbeleuchtung Rhein-Main ist außerdem zu erfahren, dass die Laternen in Frankfurt am Tag stromlos sind und Kabelzüge von Beleuchtungsschaltstellen aus ein- und ausgeschaltet werden. Um die Anlage auf Dauerspannung umzubauen und jede Leuchte einzeln anzusteuern, wären hohe Investitionen notwendig. Schließlich darf die Straßenbeleuchtung als separates Netz aus regulatorischer Sicht auch nur für diesen Zweck genutzt werden.

Eine sehr aufwendige Alternative wäre, an den Masten Mini-Wallboxen zu installieren. Hubs mit einem ausreichend starken Anschluss und der technischen Ausstattung für mehrere Ladepunkte seien aber auf jeden Fall die wirtschaftlichere Alternative, so Schmude.
 
Unternehmen fragen nach Verstärkung ihres Netzanschlusses
 
Neben dem privaten Laden am Wohnort wird das Laden am Arbeitsplatz ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. Davon gehen die Netzbetreiber aus. Mit einer großen Zahl an E-Autos und Ladestationen auf dem Firmengelände könnten die Netzanschlüsse der Unternehmen schnell an ihre Grenze kommen. Laut Schmude kommen tatsächlich bereits Firmen auf die NRM zu und beraten sich mit dem Netzbetreiber über die Möglichkeiten, die Leistung anzupassen.

„Das läuft aber alles unaufgeregt ab, weil die Unternehmen in der Regel Fachleute haben, die sich auskennen“, berichtet Schmude. Am Ende werden seiner Einschätzung nach allerdings intelligente betriebliche Energie- und Facility-Managementsysteme dabei helfen, den Leistungsbedarf für das Laden der Pendlerfahrzeuge zu flexibilisieren und zu verstetigen. Das werde den Ausbaubedarf deutlich verringern.
 
„Wir überarbeiten die Dimensionierungsvorschriften“
 
In den Überlegungen der Netzplaner kommen noch viele Konjunktive vor. „Wir überarbeiten allerdings schon die Dimensionierungsvorschriften und entwickeln Szenarien für das Hochlaufen der E-Mobilität“, sagt Schmude. Er und seine Kollegen gehen davon aus, dass vor allem Einkommensstruktur und räumliche Verteilung der Ladepunkte miteinander korrelieren werden. In einkommensstarken Wohngegenden werde sich deshalb der Bedarf an Lademöglichkeiten etwa fünf bis acht Jahre früher manifestieren als in anderen Stadtvierteln. Jetzt sei auf jeden Fall die Zeit, dafür Vorbereitungen zu treffen und mehr Intelligenz und leistungsfähigere Betriebsmittel in den Planungen zu berücksichtigen.
 
Thorsten Schmude: „Nicht jeder Nutzer wird sein Fahrzeug täglich um 18.30 Uhr an die Wallbox hängen“
Quelle: Mainova AG

Freitag, 17.09.2021, 09:04 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Vorbereitungen für die Zahnarzt-Allee
Quelle: Shutterstock
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe
Vorbereitungen für die Zahnarzt-Allee
Die Verkehrswende findet vor allem in der Niederspannung statt − für Netzplaner, besonders in Metropolen wie Frankfurt am Main, eine große Herausforderung.
Vor fast genau einem Jahr hat die Mainova AG in Frankfurt gemeinsam mit ihren vorgelagerten Netzbetreibern Avacon und Tennet angekündigt, bis 2027 eine dreiviertel Milliarde Euro zu investieren, um die Leistung des Stromnetzes der Mainmetropole um mehr als 500 Megavoltampere (MVA) zu erhöhen. Dies entspricht einer Steigerung um rund 50 %. Konkret geht es um die Errichtung von Umspannwerken und den Ausbau von Transportleitungen an den Haupteinspeisepunkten sowie die Verstärkung der 110-kV-Leitungen in die 750.000-Einwohner-Stadt.

In Hessen insgesamt sinke zwar stetig der Stromverbrauch, sagte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) damals. Dass er in Frankfurt gegen den Trend zunehme, liege an der wirtschaftlichen Bedeutung der Stadt und des Umlands, für die Region, für Deutschland und Europa. „Denn hier wohnt das Internet“, brachte es Constantin Alsheimer auf den Punkt. Der Vorstandsvorsitzende der Mainova bezog sich auf „DE-CIX“. Es handelt sich dabei um den größten Internetknoten weltweit, der in der hessischen Metropole sitzt und an dem einige Monate später am 3. November 2020 erstmals ein Datendurchsatz von 10 Terabit pro Sekunde erreicht wurde.

Rechenzentren sind die wesentlichen Treiber des Leistungsbedarfs

Mainova will aber nicht nur für den Internetknoten die Stromversorgung sichern, sondern auch für den Finanzsektor, den Flughafen und die wachsende Zahl an Rechenzentren, auf die laut Alsheimer mittlerweile 20 % des Stromabsatzes des Versorgers in Frankfurt entfallen. Sie sind der wesentliche Treiber des wachsenden Leistungsbedarfs.

„In den letzten vier Jahren wurden Anschlussverträge über jährlich 100 MVA abgeschlossen“, heißt es aktuell aus der Zentrale des Energieversorgers in Bockenheim. Und die Nachfrage der Rechenzentrumsbranche halte an. Die Lastspitzen im Netz der NRM Netzdienste Rhein-Main erreichen mittlerweile 800 MW. „Wir betrachten hier die Mittel- und die Hochspannungsebene“, stellt Thorsten Schmude klar, der bei der Mainova-Tochtergesellschaft die Netzkonzeption und -koordination verantwortet. Im Vergleich zu den Rechenzentren falle die Elektromobilität mit ihrem Strombedarf nicht sonderlich ins Gewicht − wohlgemerkt auf der Mittel- und Hochspannungsebene.

Auch wenn die Elektromobilität bei Weitem noch nicht das Ausmaß angenommen hat, wie es sich die Politik für den Anfang der aktuellen Dekade vorgestellt und gewünscht hat, zieht die Verkehrswende dennoch mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Netzbetreiber auf sich. „Denn die älteren Niederspannungsnetze sind ganz und gar nicht auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur ausgelegt“, erläutert Schmude und beschreibt die viele Jahrzehnte übliche Praxis der Netzplanung.

Die zugrunde liegende Annahme ging von einem Bedarf von maximal 8 kW aus, wenn im Haushalt alle Geräte wie Fernseher, Staubsauger, Herd und Waschmaschine gleichzeitig betrieben wurden. Selbst mit einem zusätzlichen 21-kW-Wasserboiler reichte ein Hausanschluss mit 30 kW auf jeden Fall aus. Man ging jedoch aufgrund statistischer Untersuchungen davon aus, dass durchschnittlich immer nur 1,4 kW gleichzeitig gezogen werden.

„Dieses Prinzip hat sich über 60 Jahre bewährt“, sagt der NRM-Prokurist. In den 60er-, 70er- oder 80er-Jahren war jedoch noch nicht abzusehen, was künftig Realität werden könnte: In einer Wohngegend mit überwiegend Einfamilienhäusern werden viele Elektroautos an Wallboxen mit 11 oder gar 22 kW gleichzeitig geladen. „Dafür sind die Kabelstränge, die die Ortsnetzstationen verlassen und den Strom in die dahinterliegenden Straßenzüge transportieren, nicht vorgesehen“, versichert Schmude. Dort, wo sie die Trafostation verlassen, liegen die Kabel gehäuft in der Erde, sind die Summenströme am größten und ist die Wärmeentwicklung am stärksten. Hier führt eine Überlastung als Erstes zum Schaden.
 
Bei der Mainova-Netztochter geht man von einem Netzanschlussbedarf von 150 MVA im Jahr 2030 aus, um die dann vorhandenen öffentlichen und privaten Ladestationen sicher versorgen zu können
Quelle: Mainova AG

Dass das gleichzeitige Laden in der sogenannten „Zahnarzt-Allee“ im Moment noch eine sehr theoretische Annahme ist, räumt Schmude ein. Eine Lösung für die zunehmende Last durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur dürfe man jedoch nicht auf die lange Bank schieben, mahnt er. Bei der Mainova-Netztochter geht man von einem Netzanschlussbedarf von 150 MVA im Jahr 2030 aus, um die dann vorhandenen öffentlichen und privaten Ladestationen sicher versorgen zu können.

Mehr Intelligenz oder mehr Kupfer − das ist die Frage

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob man das Netz mit mehr Intelligenz oder mehr Kupfer zukunftsfähig machen sollte. Eines ist allerdings klar: In einer Stadt wie Frankfurt können nicht die Straßen in allen Wohngegenden innerhalb von zwei, drei oder fünf Jahren aufgebuddelt werden, um zehn, zwanzig oder dreißig Jahre alte Kabel durch neue leistungsstärkere Leitungen zu ersetzen. „Das wäre volkswirtschaftlich völlig unsinnig und logistisch nicht umsetzbar“, sagt Schmude. „Deshalb brauchen wir mehr Intelligenz im Netz.“

Diese Forderung ist mittlerweile das Mantra der Netzplaner. Die technischen Voraussetzungen etwa für die Steuerung von Wallboxen sind grundsätzlich gegeben. Geräte, die von der KfW gefördert werden, haben eine Schnittstelle, über die sie ein Signal des Netzbetreibers empfangen können. Die Telekommunikationskanäle für die Übertragung der Signale sind vorhanden und ihre Nutzung wird immer kostengünstiger, egal ob via LTE, DSL oder Tonfrequenzrundsteuerungen. Es fehlt jedoch ein verlässlicher rechtlicher Rahmen. Denn eine Ausgestaltung des § 14a im Energiewirtschaftsgesetz, um den Einsatz steuerbarer Verbrauchseinrichtungen zu regeln, ist Anfang des Jahres gescheitert.

Das Steuern von Ladepunkten will der Frankfurter Netzbetreiber in verschiedenen Pilotprojekten testen. Denn es wird nach Schmudes Überzeugung zu einem festen Bestandteil des Netzbetreiberinstrumentariums werden − wann auch immer die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird. „Dafür bauen wir in den Ortsnetzstationen an den Kabelabgängen Sensoren ein. Dort messen wir über längere Zeit den Strom und vergleichen die Werte mit den Maximalwerten, die die Kabel aushalten. Bei Überschreitung der Maximalbelastung greifen wir ein“, so der NRM-Manager. Dann werde die Ladeleistung entsprechend der verfügbaren Anschlussleistung zeitweise gedrosselt. 

Zu Eingriffen der Netzbetreiber muss es aber nicht zwangsläufig kommen. Denn man könne durchaus davon ausgehen, dass sich das Laden in einem Straßenzug nicht allzu oft auf ein kleines Zeitfenster am Tag konzentriert. Homeoffice und flexible Arbeitszeiten werden nach Ansicht von Schmude dafür sorgen, dass nicht jeder Nutzer sein Fahrzeug täglich um 18.30 Uhr an die Wallbox hängt. Und schließlich werde sich auch bei den Fahrern die Erkenntnis durchsetzen, dass nicht jede Kilowattstunde, die täglich verbraucht wird, am selben Tag nachgeladen werden muss.

„Man fährt ja nicht täglich nach der Arbeit zur Tankstelle, um die gerade verbrauchte Spritmenge nachzufüllen“, gibt er zu bedenken. Bei Reichweiten von 300 oder mehr Kilometern müssten seiner Ansicht nach viele Batterien voraussichtlich nur ein- bis zweimal die Woche geladen werden. Deshalb würden sich die Ladevorgänge sicherlich etwas entzerren.
 
„Laternenladen“ in Frankfurt keine gute Idee
 
Für E-Autofahrer, die in Mehrfamilienhäusern wohnen, wird es nach Einschätzung von Schmude künftig Lademöglichkeiten in Hubs geben. Parkhäuser oder Tiefgaragen könnten solche Ladestationen beherbergen. Auch für „Laternenparker“ sind solche Hubs, etwa an leicht zugänglichen Plätzen, denkbar, wo sie in ein oder zwei Nächten pro Woche die Batterien ihrer Fahrzeuge mit 11 oder 22 kW wieder aufladen.

Die Straßenlampen selbst als Ladepunkt zu nutzen, hält der NRM-Netzplaner für keine gute Idee, denn deren Leitungsquerschnitte und Kabeltypen lassen keine großen Anschlussleistungen zu. Von der Mainova-Tochtergesellschaft SRM Straßenbeleuchtung Rhein-Main ist außerdem zu erfahren, dass die Laternen in Frankfurt am Tag stromlos sind und Kabelzüge von Beleuchtungsschaltstellen aus ein- und ausgeschaltet werden. Um die Anlage auf Dauerspannung umzubauen und jede Leuchte einzeln anzusteuern, wären hohe Investitionen notwendig. Schließlich darf die Straßenbeleuchtung als separates Netz aus regulatorischer Sicht auch nur für diesen Zweck genutzt werden.

Eine sehr aufwendige Alternative wäre, an den Masten Mini-Wallboxen zu installieren. Hubs mit einem ausreichend starken Anschluss und der technischen Ausstattung für mehrere Ladepunkte seien aber auf jeden Fall die wirtschaftlichere Alternative, so Schmude.
 
Unternehmen fragen nach Verstärkung ihres Netzanschlusses
 
Neben dem privaten Laden am Wohnort wird das Laden am Arbeitsplatz ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. Davon gehen die Netzbetreiber aus. Mit einer großen Zahl an E-Autos und Ladestationen auf dem Firmengelände könnten die Netzanschlüsse der Unternehmen schnell an ihre Grenze kommen. Laut Schmude kommen tatsächlich bereits Firmen auf die NRM zu und beraten sich mit dem Netzbetreiber über die Möglichkeiten, die Leistung anzupassen.

„Das läuft aber alles unaufgeregt ab, weil die Unternehmen in der Regel Fachleute haben, die sich auskennen“, berichtet Schmude. Am Ende werden seiner Einschätzung nach allerdings intelligente betriebliche Energie- und Facility-Managementsysteme dabei helfen, den Leistungsbedarf für das Laden der Pendlerfahrzeuge zu flexibilisieren und zu verstetigen. Das werde den Ausbaubedarf deutlich verringern.
 
„Wir überarbeiten die Dimensionierungsvorschriften“
 
In den Überlegungen der Netzplaner kommen noch viele Konjunktive vor. „Wir überarbeiten allerdings schon die Dimensionierungsvorschriften und entwickeln Szenarien für das Hochlaufen der E-Mobilität“, sagt Schmude. Er und seine Kollegen gehen davon aus, dass vor allem Einkommensstruktur und räumliche Verteilung der Ladepunkte miteinander korrelieren werden. In einkommensstarken Wohngegenden werde sich deshalb der Bedarf an Lademöglichkeiten etwa fünf bis acht Jahre früher manifestieren als in anderen Stadtvierteln. Jetzt sei auf jeden Fall die Zeit, dafür Vorbereitungen zu treffen und mehr Intelligenz und leistungsfähigere Betriebsmittel in den Planungen zu berücksichtigen.
 
Thorsten Schmude: „Nicht jeder Nutzer wird sein Fahrzeug täglich um 18.30 Uhr an die Wallbox hängen“
Quelle: Mainova AG

Freitag, 17.09.2021, 09:04 Uhr
Fritz Wilhelm

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