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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Schwerin heizt aus dem Untergrund
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Ausgabe

Schwerin heizt aus dem Untergrund

Seit einem Jahr liefert das Heizwerk Lankow Erdwärme für das Schweriner Netz. 
Wer sich an einem kühlen Herbstmorgen dem Heizwerk im Schweriner Stadtteil Lankow nähert, sieht von außen nur ein unscheinbares Betriebsgebäude. Beim Näherkommen verrät ein tiefes Brummen, dass große Aggregate in seinem Innern laufen. Im nördlichen Ortsteil Lankow läuft das Herzstück für die Schweriner Wärmewende: die erste Geothermieanlage der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Seit Oktober 2024 liefert „Lankow I“ grüne Fernwärme in das städtische Netz für 30.000 angeschlossene Haushalte. 

Der kommunale Energieversorger Stadtwerke Schwerin (SWS) hat das Projekt seit Jahren vorbereitet. „Mit unserer ersten Geothermieanlage sind wir einen entscheidenden Schritt in Richtung klimaneutrale Wärmeversorgung gegangen“, erläutert Geschäftsführer Hanno Nispel. Für ihn war die Inbetriebnahme nicht der Abschluss, sondern der Auftakt für eine tiefgreifende Transformation der lokalen Wärmeversorgung. Schwerin war übrigens schon 1924 die erste Stadt in Deutschland mit einer Fernwärmeversorgung. Damals wurde die Abwärme der Dieselmotoren des Elektrizitätswerks genutzt.

Wärme aus 1.300 Metern Tiefe

Die Technik in Lankow basiert auf mitteltiefer Geothermie. 2015 begann alles mit seismischen Untersuchungen für eine zweidimensionale Bodenkarte, die nach der heißen Quelle im Erdreich suchte. In 1.300 Metern Tiefe wurde man fündig. Dort strömt salzhaltiges Thermalwasser unter Schwerin durch Sandsteinschichten, die vor rund 200 Millionen Jahren entstanden sind. 2018 folgte eine Erkundungsbohrung, die die Untersuchungsergebnisse bestätigte.

Dieses Solewasser wird nun seit 2020 über eine Förderbohrung mit Pumpen an die Oberfläche geholt. Ab 2022 wurde eine Leitung ins neu entstehende Geothermieheizwerk gelegt. Dort gibt die Sole über Wärmetauscher ihre Energie ans Fernwärmenetz ab, bevor sie wieder zurück in die Tiefe geschickt wird. Weil das Wasser mit 56 Grad Celsius für den direkten Einsatz im Fernwärmenetz nicht heiß genug ist, übernehmen vier in Reihe geschaltete Wasser-Wasser-Wärmepumpen den nächsten Schritt. Sie erhöhen die Temperatur auf bis zu 82 Grad Celsius. 

Die Gesamtleistung der Wärmepumpen beträgt 7,35 MW. Das Prinzip ist simpel: Das Heizwasser durchläuft nacheinander Verdichter und wird bei jedem Schritt weiter erhitzt, bis es die gewünschte Vorlauftemperatur erreicht hat. Diese Reihenverschaltung steigert die Effizienz der Anlage. Damit ist die Wärme nutzbar für den Sommerbetrieb. Im Winter wird die Vorlauftemperatur im benachbarten Heizkraftwerk mit Erdgasbrennern noch einmal angehoben − auf maximal 130 Grad Celsius. 

Technische Herausforderungen

Das Projekt profitiert von günstigen geologischen Gegebenheiten: Der Sandstein-Aquifer ist überdurchschnittlich ergiebig, die tatsächliche Soletemperatur lag mit 56 Grad Celsius über den ursprünglich erwarteten 50 Grad. Allerdings brachte der lockere Sandstein auch Probleme: Unerwartet hohe Sandfrachten erforderten zusätzliche Filtertechnik. Ein Abnehmer für die anfallenden Sandmengen wird noch gesucht.

Nach Angaben der Stadtwerke spart die Anlage jährlich rund 7.500 Tonnen CO2 ein. Damit liefert sie einen relevanten Beitrag zur regionalen Klimabilanz. „Als Stadtwerk sehen wir uns in der Verantwortung, die Wärmewende aktiv zu gestalten − verlässlich, nachhaltig und im engen Schulterschluss mit der Landeshauptstadt Schwerin“, betont Nispel.

Derzeit liefert die Geothermie etwa 15 Prozent der benötigten Energie für die Fernwärme der Landeshauptstadt. Hinzu kommen seit 2007 Wärme und Strom aus einer Biogasanlage, sodass derzeit schon ein Fünftel der Fernwärme erneuerbar erzeugt wird. Ein großer Wärmespeicher für heißes Wasser gleicht zudem Spitzenlasten aus.
 
Das Geothermieheizwerk Lankow der SWS
Quelle: BWP / Bernd Lauter Photographie

Die Stadtwerke Schwerin versorgen derzeit rund 30.000 Haushalte und 400 Gewerbebetriebe mit Fernwärme. Durch die Nutzung von Fernwärme aus hocheffektiver Kraft-Wärme-Kopplung, die noch auf Erdgas basiert, werden jährlich bis zu 50.000 Tonnen CO2 vermieden. Je höher der Anteil der klimaneutralen Geothermie wird, desto mehr Treibhausgase können eingespart werden. Deshalb sind in den nächsten Jahren Erweiterungen geplant.

Der Primärenergiefaktor der Fernwärme sei laut SWS schon heute sehr gut. Laut externen Gutachtern liegt er in Schwerin bei 0,29. Das gehört bundesweit zu den besten Werten, wo ein Durchschnitt von 0,7 erreicht wird. Der Faktor ist im Gebäudeenergiegesetz (GEG) von zentraler Bedeutung, da er für die Energiebilanz von Neubauten und Sanierungen maßgeblich ist. Kunden der Schweriner Fernwärme können so ohne Eigeninvestitionen Klimaschutzvorgaben für ihre Gebäude einhalten.

Modell für Norddeutschland

Die Erfahrungen aus Planung, Bau und Betrieb von Lankow I fließen in das Verbundprojekt DeCarbSN ein. Beteiligt sind unter anderem die Universität Göttingen und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG). Ziel ist es, die mitteltiefe Geothermie im Norddeutschen Becken weiterzuentwickeln. Regionen mit ähnlicher Geologie sollen so ebenfalls von den Schweriner Erkenntnissen profitieren. „Erste Interessenten haben sich schon gemeldet“, so Nispel.

Von 2023 bis 2027 wird das Projekt vom Bundeswirtschaftsministerium mit insgesamt 8 Millionen Euro gefördert. Seine Besonderheit liegt in der Anpassung an die lokalen Verhältnisse. Zwar ist Geothermie in Europa kein neues Thema, doch ihre Kombination mit Hochleistungswärmepumpen in Schwerin gilt als deutschlandweit einzigartig.

Der Modellstandort wird exemplarisch für norddeutsche Mittel- und Großstädte mit bereits vorhandenen Wärmenetzen entwickelt. Das Projekt schätzt das Potenzial für den Zubau von 400 bis 800 MW geothermischer Leistung bis 2035. In Schwerin soll die aktuelle geothermische Leistung auf bis zu 500 Kubikmeter je Stunde erhöht werden, um bis zu 60 Prozent der benötigten Wärmemenge für die Versorgung zu erreichen.

Ausbau bis 2035

Die Stadtwerke wollen für die Wärmewende das Netz kontinuierlich erweitern. Nahezu alle öffentlichen Gebäude − darunter Schulen, Kindertagesstätten und Verwaltungsgebäude − sind bereits angeschlossen. In den kommenden Jahren sollen weitere Wohn- und Gewerbegebiete folgen. In diesem Jahr stehen unter anderem die Schweriner Altstadt und die Paulsstadt auf der Ausbauliste.

Die langfristige Planung sieht bis 2035 vor, 80 Prozent der Haushalte an die Fernwärme anzuschließen. Heute sind es schon 63 Prozent, gegenüber einem bundesweiten Durchschnitt von 14 Prozent. Jährlich kommen neue Leitungsstränge hinzu, bestehende Netze werden verdichtet und weitere Hausanschlüsse entstehen im gesamten Stadtgebiet. Allerdings ist dies herausfordernd, da Schwerin sich in einer Seenlandschaft erstreckt und Stadtteile weit auseinandergezogen liegen und nur über Brücken zu erreichen sind.

„Die nächsten Jahre werden anspruchsvoll, aber wir arbeiten bereits an neuen Lösungen und werden diese konsequent umsetzen“, kündigt Stadtwerkegeschäftsführer Nispel an. Schwerin versteht sich damit nicht nur als Versorger für die eigene Bevölkerung, sondern auch als Impulsgeber für andere Städte mit ähnlichen geologischen Voraussetzungen. Das ehrgeizige Ziel der Landeshauptstadt, schon bis 2035 klimaneutral zu werden, unterstützen die Stadtwerke nach besten Kräften.

Mittwoch, 12.11.2025, 08:45 Uhr
Susanne Harmsen
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Schwerin heizt aus dem Untergrund
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Aus Der Aktuellen Ausgabe
Schwerin heizt aus dem Untergrund
Seit einem Jahr liefert das Heizwerk Lankow Erdwärme für das Schweriner Netz. 
Wer sich an einem kühlen Herbstmorgen dem Heizwerk im Schweriner Stadtteil Lankow nähert, sieht von außen nur ein unscheinbares Betriebsgebäude. Beim Näherkommen verrät ein tiefes Brummen, dass große Aggregate in seinem Innern laufen. Im nördlichen Ortsteil Lankow läuft das Herzstück für die Schweriner Wärmewende: die erste Geothermieanlage der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Seit Oktober 2024 liefert „Lankow I“ grüne Fernwärme in das städtische Netz für 30.000 angeschlossene Haushalte. 

Der kommunale Energieversorger Stadtwerke Schwerin (SWS) hat das Projekt seit Jahren vorbereitet. „Mit unserer ersten Geothermieanlage sind wir einen entscheidenden Schritt in Richtung klimaneutrale Wärmeversorgung gegangen“, erläutert Geschäftsführer Hanno Nispel. Für ihn war die Inbetriebnahme nicht der Abschluss, sondern der Auftakt für eine tiefgreifende Transformation der lokalen Wärmeversorgung. Schwerin war übrigens schon 1924 die erste Stadt in Deutschland mit einer Fernwärmeversorgung. Damals wurde die Abwärme der Dieselmotoren des Elektrizitätswerks genutzt.

Wärme aus 1.300 Metern Tiefe

Die Technik in Lankow basiert auf mitteltiefer Geothermie. 2015 begann alles mit seismischen Untersuchungen für eine zweidimensionale Bodenkarte, die nach der heißen Quelle im Erdreich suchte. In 1.300 Metern Tiefe wurde man fündig. Dort strömt salzhaltiges Thermalwasser unter Schwerin durch Sandsteinschichten, die vor rund 200 Millionen Jahren entstanden sind. 2018 folgte eine Erkundungsbohrung, die die Untersuchungsergebnisse bestätigte.

Dieses Solewasser wird nun seit 2020 über eine Förderbohrung mit Pumpen an die Oberfläche geholt. Ab 2022 wurde eine Leitung ins neu entstehende Geothermieheizwerk gelegt. Dort gibt die Sole über Wärmetauscher ihre Energie ans Fernwärmenetz ab, bevor sie wieder zurück in die Tiefe geschickt wird. Weil das Wasser mit 56 Grad Celsius für den direkten Einsatz im Fernwärmenetz nicht heiß genug ist, übernehmen vier in Reihe geschaltete Wasser-Wasser-Wärmepumpen den nächsten Schritt. Sie erhöhen die Temperatur auf bis zu 82 Grad Celsius. 

Die Gesamtleistung der Wärmepumpen beträgt 7,35 MW. Das Prinzip ist simpel: Das Heizwasser durchläuft nacheinander Verdichter und wird bei jedem Schritt weiter erhitzt, bis es die gewünschte Vorlauftemperatur erreicht hat. Diese Reihenverschaltung steigert die Effizienz der Anlage. Damit ist die Wärme nutzbar für den Sommerbetrieb. Im Winter wird die Vorlauftemperatur im benachbarten Heizkraftwerk mit Erdgasbrennern noch einmal angehoben − auf maximal 130 Grad Celsius. 

Technische Herausforderungen

Das Projekt profitiert von günstigen geologischen Gegebenheiten: Der Sandstein-Aquifer ist überdurchschnittlich ergiebig, die tatsächliche Soletemperatur lag mit 56 Grad Celsius über den ursprünglich erwarteten 50 Grad. Allerdings brachte der lockere Sandstein auch Probleme: Unerwartet hohe Sandfrachten erforderten zusätzliche Filtertechnik. Ein Abnehmer für die anfallenden Sandmengen wird noch gesucht.

Nach Angaben der Stadtwerke spart die Anlage jährlich rund 7.500 Tonnen CO2 ein. Damit liefert sie einen relevanten Beitrag zur regionalen Klimabilanz. „Als Stadtwerk sehen wir uns in der Verantwortung, die Wärmewende aktiv zu gestalten − verlässlich, nachhaltig und im engen Schulterschluss mit der Landeshauptstadt Schwerin“, betont Nispel.

Derzeit liefert die Geothermie etwa 15 Prozent der benötigten Energie für die Fernwärme der Landeshauptstadt. Hinzu kommen seit 2007 Wärme und Strom aus einer Biogasanlage, sodass derzeit schon ein Fünftel der Fernwärme erneuerbar erzeugt wird. Ein großer Wärmespeicher für heißes Wasser gleicht zudem Spitzenlasten aus.
 
Das Geothermieheizwerk Lankow der SWS
Quelle: BWP / Bernd Lauter Photographie

Die Stadtwerke Schwerin versorgen derzeit rund 30.000 Haushalte und 400 Gewerbebetriebe mit Fernwärme. Durch die Nutzung von Fernwärme aus hocheffektiver Kraft-Wärme-Kopplung, die noch auf Erdgas basiert, werden jährlich bis zu 50.000 Tonnen CO2 vermieden. Je höher der Anteil der klimaneutralen Geothermie wird, desto mehr Treibhausgase können eingespart werden. Deshalb sind in den nächsten Jahren Erweiterungen geplant.

Der Primärenergiefaktor der Fernwärme sei laut SWS schon heute sehr gut. Laut externen Gutachtern liegt er in Schwerin bei 0,29. Das gehört bundesweit zu den besten Werten, wo ein Durchschnitt von 0,7 erreicht wird. Der Faktor ist im Gebäudeenergiegesetz (GEG) von zentraler Bedeutung, da er für die Energiebilanz von Neubauten und Sanierungen maßgeblich ist. Kunden der Schweriner Fernwärme können so ohne Eigeninvestitionen Klimaschutzvorgaben für ihre Gebäude einhalten.

Modell für Norddeutschland

Die Erfahrungen aus Planung, Bau und Betrieb von Lankow I fließen in das Verbundprojekt DeCarbSN ein. Beteiligt sind unter anderem die Universität Göttingen und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG). Ziel ist es, die mitteltiefe Geothermie im Norddeutschen Becken weiterzuentwickeln. Regionen mit ähnlicher Geologie sollen so ebenfalls von den Schweriner Erkenntnissen profitieren. „Erste Interessenten haben sich schon gemeldet“, so Nispel.

Von 2023 bis 2027 wird das Projekt vom Bundeswirtschaftsministerium mit insgesamt 8 Millionen Euro gefördert. Seine Besonderheit liegt in der Anpassung an die lokalen Verhältnisse. Zwar ist Geothermie in Europa kein neues Thema, doch ihre Kombination mit Hochleistungswärmepumpen in Schwerin gilt als deutschlandweit einzigartig.

Der Modellstandort wird exemplarisch für norddeutsche Mittel- und Großstädte mit bereits vorhandenen Wärmenetzen entwickelt. Das Projekt schätzt das Potenzial für den Zubau von 400 bis 800 MW geothermischer Leistung bis 2035. In Schwerin soll die aktuelle geothermische Leistung auf bis zu 500 Kubikmeter je Stunde erhöht werden, um bis zu 60 Prozent der benötigten Wärmemenge für die Versorgung zu erreichen.

Ausbau bis 2035

Die Stadtwerke wollen für die Wärmewende das Netz kontinuierlich erweitern. Nahezu alle öffentlichen Gebäude − darunter Schulen, Kindertagesstätten und Verwaltungsgebäude − sind bereits angeschlossen. In den kommenden Jahren sollen weitere Wohn- und Gewerbegebiete folgen. In diesem Jahr stehen unter anderem die Schweriner Altstadt und die Paulsstadt auf der Ausbauliste.

Die langfristige Planung sieht bis 2035 vor, 80 Prozent der Haushalte an die Fernwärme anzuschließen. Heute sind es schon 63 Prozent, gegenüber einem bundesweiten Durchschnitt von 14 Prozent. Jährlich kommen neue Leitungsstränge hinzu, bestehende Netze werden verdichtet und weitere Hausanschlüsse entstehen im gesamten Stadtgebiet. Allerdings ist dies herausfordernd, da Schwerin sich in einer Seenlandschaft erstreckt und Stadtteile weit auseinandergezogen liegen und nur über Brücken zu erreichen sind.

„Die nächsten Jahre werden anspruchsvoll, aber wir arbeiten bereits an neuen Lösungen und werden diese konsequent umsetzen“, kündigt Stadtwerkegeschäftsführer Nispel an. Schwerin versteht sich damit nicht nur als Versorger für die eigene Bevölkerung, sondern auch als Impulsgeber für andere Städte mit ähnlichen geologischen Voraussetzungen. Das ehrgeizige Ziel der Landeshauptstadt, schon bis 2035 klimaneutral zu werden, unterstützen die Stadtwerke nach besten Kräften.

Mittwoch, 12.11.2025, 08:45 Uhr
Susanne Harmsen

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