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Eine Reihe Strom- und Gasanbieter schraubt die Abschlagszahlungen für Kunden teils extrem nach oben. Verbraucherschützer sprechen von „Wildwest-Methoden“.
Verbraucherschützer Matthias Moeschler vermutet, dass es sich um eine abgestimmte Aktion handelt. Ein paar Tage ist es her, dass die Anfragen von Verbrauchern bei ihm plötzlich stark zunahmen. Grund: „Tausende Kunden erhielten am Abend des 22.10.2021 E-Mails von Immergrün und fünf weiteren Energieanbietern, in der die Abschläge für Strom und Gas drastisch erhöht wurden – zum Teil um 250 %“, sagt Moeschler, der auf seiner Website „
Verbraucherhilfe-Stromanbieter“ fragwürdige Vorgehensweisen dokumentiert.
In den Schreiben werde weder eine Preiserhöhung ausgesprochen, noch auf eine frühere Preiserhöhung verwiesen, schildert er. „Es wird auch nicht auf eine Abrechnung verwiesen, aus der ein höherer Verbrauch hervorgeht.“ Moeschler sieht deswegen die Erhöhung der „Abschläge als unzulässig“ an.
Sehr kurzfristig„Ein analytischer Revisionsverlauf hat vor dem Hintergrund der gestiegenen Beschaffungskosten gezeigt, dass die von Ihnen in den vergangenen Monaten geleisteten monatlichen Zahlungen nicht ausreichend sind, um den für Ihren Zählpunkt benötigten Energieeinkauf sicherzustellen“, teilt Immergrün Kunden mit. Üblicherweise reichten die von allen Kunden geleisteten monatlichen Zahlungen aus, um den in der Winterperiode erhöhte Energieverbrauch abzudecken, heißt es weiter in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt. „In der jetzigen Situation trifft dies für die Belieferung an Ihrem Zählpunkt jedoch nicht zu.“ Daher müssten monatliche Zahlbeträge „kurzfristig“ steigen. Wobei kurzfristig zum Beispiel 1. November bedeutet.
Neben Immergrün hat Moeschler ähnlich lautende Schreiben von betroffenen Kunden der Energieanbieter Wunderwerk AG, Elektrizitätswerke Düsseldorf, Strogon, Enstroga und Fuxx Sparenergie erhalten. Auch sie datieren vom 22. Oktober.
Die Schreiben beträfen sowohl Strom- als auch Gaskunden. Bei Gas seien die Zuschläge im Durchschnitt höher als bei Strom, sagt Moeschler. Im Fall von Immergrün berichten ihm Kunden bei Strom von Abschlagserhöhungen um bis zu 127 %, bei Gas um bis zu 217 %. Wunderwerk verlange bei Gas bis zu 253 % mehr, bei Strom habe er bis zu 50 % Zuschlag beobachtet. Bei Strogon habe er Zuschläge bei Strom bis 76 %, bei Fuxx Sparenergie bis 29 % gesehen.
„Abschlagserhöhungen sind so nicht zulässig“Betroffene Kunden haben sich auch an die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gewandt. Sie beobachtet ebenfalls teils extreme Forderungen. „Uns liegt ein Schreiben vor, in dem die Abschlagszahlung von 118 auf 253 Euro erhöht“, sagt der Energierechtsexperte Holger Schneidewindt. Er hat sich die Verbrauchsdaten des Kunden näher angesehen und kommt zu Ergebnis, dass dieser „sogar Anspruch auf eine Rückzahlung in Höhe von 86 Euro hätte“.
„Unterjährige, einseitige Abschlagserhöhungen sind so nicht zulässig“, sagt Schneidewindt. Eine Voraussetzung wäre, dass es eine Preiserhöhung vorangegangen ist. Die aber liege in diesem und anderen Fällen nicht vor. „Für mich sieht das nach Wildwestmethode aus.“
Das Schreiben ist unterschrieben mit „Ihr immergrün! Team“. Die Verbraucherzentrale hat die diesen Anbieter, eine Marke der Rheinischen Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln, vor Kurzem abgemahnt. Grund waren Preissteigerungen, die „intransparent und unzureichend kommuniziert“ worden seien sowie angekündigte Belieferungsstopps.
Extreme Preissteigerungen, Belieferungsstopps, seltsame Jahresrechnungen und jetzt Abschlagserhöhungen – „das ist ein bisschen viel einen Anbieter“, sagt Schneidewindt. Wie hat Immergrün auf die Abmahnung reagiert? „Das Unternehmen will eine Fristverlängerung.“ Schneidewindt sieht die Bundesnetzagentur in der Pflicht. Er hält es für an der Zeit, dass sich die Behörde diesen Anbieter etwas näher sieht.
Wie sieht man bei Immergrün und den anderen Anbietern den Vorwurf, dass solche Abschlagserhöhungen unzulässig sind? Gibt es eine Begründung darüber hinaus für diesen Schritt? Keines der Unternehmen antwortete auf eine entsprechende Anfrage der Redaktion. Auch von der Gesellschaft für Messdienstleistungen (GfM) in Köln, die für die Energieanbieter nach eigenen Angaben tätig ist, war keine Auskunft zum Sachverhalt zu bekommen.
Bei der Staatsanwaltschaft bekanntNicht nur bei Verbraucherschützern, auch bei der Justiz ist dieser Energieanbieter kein unbeschriebenes Blatt. „Im Zusammenhang mit Immergrün waren mehrere Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Köln anhängig, die zwischenzeitlich eingestellt wurden“, berichtet eine Sprecherin der Justizbehörde. Ein Verdacht, der im Raum stand: Betrug. Auch im Laufe dieses Jahres sei ein Verfahren eingestellt worden. Ob noch aktuell Verfahren laufen, dazu konnte die Staatsanwaltschaft bis Redaktionsschluss keine Angaben machen.
Montag, 25.10.2021, 16:56 Uhr
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