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Energie & Management > Vertrieb - Fragwürdige Einstufung in die Ersatzversorgung
Quelle: Shutterstock / REDPIXELPL
Vertrieb

Fragwürdige Einstufung in die Ersatzversorgung

Die Sichtweise der Bundesnetzagentur, wann die Ersatzversorgung greift und wann die Grundversorgung, ist klar. Doch Verbraucher erleben oft eine nebulöse Praxis.
„Spielt es eine Rolle bei der Frage, ob man in die Grundversorgung oder die Ersatzversorgung fällt, ob der bisherige Lieferant oder der Kunde gekündigt hat?“ An dieser Fragestellung, wie sie etwa ein Nutzer des Online-Forums des Bundes der Energieverbraucher aufwirft, scheiden sich die Geister. Nein, beantwortet die Bundesnetzagentur auf ihrer Website die Frage und verweist auf das Energiewirtschaftsgesetz und die Strom- und Gasgrundversorgungsverordnung. Nein, sagt etwa auch der Energieversorger Erenja, ein Tochterunternehmen der Gelsenwasser AG unter Hinweis auf einschlägige Regelungen. Allerdings meint das Unternehmen mit "Nein" etwas anderes als die Aufsichtsbehörde.

Die Bundesnetzagentur unterscheidet fünf vereinfachte Fallkonstellationen für die Zuordnung von Haushaltskunden zu Ersatz- oder Grundversorgung. Zwei davon: Wenn jemand seinen bisherigen „wettbewerblichen Energieliefervertrag“ kündigt, komme ein Grundversorgungsvertrag zustande, stellt die Behörde klar. Das gleiche gelte, wenn der Energielieferant den Vertrag „wirksam kündigt“.

Der Grundversorger Erenja hingegen weist Gas-Verbraucher im Internet darauf hin, dass sie „bei einer ordentlichen Kündigung beim oder durch den Altlieferanten“ in die Ersatzversorgung aufgenommen werden. Ebenso verhält es sich „bei einer außerordentlichen Kündigung beim Altlieferanten nach einer Preiserhöhung“. Den Unterschied zwischen Grund- und Ersatzversorgung merken Kunden am Preis: 17,34 Cent brutto kostet die Kilowattstunde Erdgas in der Ersatzversorgung seit 1. November – davor waren es 23,76 Cent. In der Grundversorgung werden nur 9,71 Cent berechnet. So wie bei Erenja handhabt es der Konzern auch bei seinen Marken „Westfalica“ und „NGW“.
 

Viele Beschwerden bei Verbraucherzentralen

Die Energietöchter der Gelsenwasser AG sind keine Einzelfälle. „Das ist ein deutschlandweites Problem“, sagt Gregor Hermanni, Energierechtsexperte bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Allein in NRW verzeichnen Verbraucherschützer Beschwerden über mehr als ein Dutzend kommunale Energieunternehmen. „Wir wissen nicht, ob die vielen Beschwerden alle berechtigt sind, aber wir prüfen in Einzelfällen, ob die Zuordnung in die Ersatzversorgung rechtmäßig erfolgt ist.“

Nicht nur auf die Zuordnung zur Versorgungsart richten die Verbraucherschützer ihr Augenmerk. „Aus Transparenzgründen und zum Schutz der Haushaltskunden müssen bei erhöhten Preisen in der Ersatzversorgung die Beschaffungskosten gesondert ausgewiesen werden. Als Kostenmaßstab sind die Preise entsprechend kurzfristiger Börsenprodukte heranzuziehen“, sagt Hermanni. „Ob die Grundversorger die Vorgaben einhalten, werden wir beobachten.“

Die Praxis von Grundversorgern hat auch die Verbraucherzentrale Niedersachsen auf den Plan gerufen. „Uns erreichen aktuell viele Beschwerden von Kunden, die jetzt in der teureren Ersatzversorgung sind, nachdem sie ihren Vertrag mit dem vorherigen Anbieter gekündigt oder auslaufen haben lassen“, sagt die Energierechtsexpertin Julia Schröder. „Dabei sind das Fälle für die Grundversorgung.“
 
Neue Rechtslage

Schröder weist darauf hin, dass sich an der Rechtslage gar nicht so viel geändert hat. Neu hinzugekommen sei im Energiewirtschaftsgesetz die Fallkonstellation, dass Kunden in die Ersatzversorgung rutschen, wenn deren Lieferanten der Netznutzungs- oder Bilanzkreisvertrag gekündigt wird. „Die anderen Zuordnungsordnungskriterien gab es schon bisher.“ Bei der Verbraucherzentrale in Niedersachsen vermutet man hinter falschen Zuordnungen in der Grundversorgerlandschaft unterschiedliche Gründe – von Unwissenheit bis Kalkül.

Anstoß erregt offenbar oft auch der Wechsel aus Ersatz- in die Grundversorgung: „Die Ersatzversorgung ist kurzfristig kündbar, bei mir haben sich eine Reihe Verbraucher gemeldet, deren Versorger einige Wochen benötigt hat für die Umsetzung“, sagt Matthias Moeschler. Moeschler, der die Website Verbraucherhilfe-Stromanbieter betreibt, meint, dass vielen überhaupt nicht bewusst ist, dass sie schnell aus der Ersatz- in die Grundversorgung wechseln können.

Fragen aufwerfen können die Wendungen, die einzelne Beschwerden nehmen. „Eon hat mich gerade begrüßt – mit den Preisen für die Ersatzversorgung. Wie kann ich in die günstigere Grundversorgung kommen?“, fragte vor einigen Wochen ein Nutzer des Forums „Smart Control“ des Energiekonzerns in die Runde und gab an, dass er den Vertrag beim vorherigen anderen Anbieter selber gekündigt hatte. Der Mann sah sich „versehentlich als Geschäftskunde eingestuft“ und wandte sich an die Hotline. Sein letzter Eintrag im Forum: „Der freundliche Mitarbeiter hat mich umgruppiert. Ich bin jetzt als Privatkunde erfasst. Allerdings hat er sich geweigert mich in die Grundversorgung einzustufen.“

Eon betont gegenüber der Redaktion, dass man sich selbstverständlich an die gesetzlichen Vorgaben halte. Und selbstverständlich stehe es Kunden in der Ersatzversorgung „zu jeder Zeit frei, sich kurzfristig, das heißt sogar innerhalb eines Tages, für einen Tarifwechsel zu entscheiden“.

Montag, 7.11.2022, 15:13 Uhr
Manfred Fischer
Energie & Management > Vertrieb - Fragwürdige Einstufung in die Ersatzversorgung
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Fragwürdige Einstufung in die Ersatzversorgung
Die Sichtweise der Bundesnetzagentur, wann die Ersatzversorgung greift und wann die Grundversorgung, ist klar. Doch Verbraucher erleben oft eine nebulöse Praxis.
„Spielt es eine Rolle bei der Frage, ob man in die Grundversorgung oder die Ersatzversorgung fällt, ob der bisherige Lieferant oder der Kunde gekündigt hat?“ An dieser Fragestellung, wie sie etwa ein Nutzer des Online-Forums des Bundes der Energieverbraucher aufwirft, scheiden sich die Geister. Nein, beantwortet die Bundesnetzagentur auf ihrer Website die Frage und verweist auf das Energiewirtschaftsgesetz und die Strom- und Gasgrundversorgungsverordnung. Nein, sagt etwa auch der Energieversorger Erenja, ein Tochterunternehmen der Gelsenwasser AG unter Hinweis auf einschlägige Regelungen. Allerdings meint das Unternehmen mit "Nein" etwas anderes als die Aufsichtsbehörde.

Die Bundesnetzagentur unterscheidet fünf vereinfachte Fallkonstellationen für die Zuordnung von Haushaltskunden zu Ersatz- oder Grundversorgung. Zwei davon: Wenn jemand seinen bisherigen „wettbewerblichen Energieliefervertrag“ kündigt, komme ein Grundversorgungsvertrag zustande, stellt die Behörde klar. Das gleiche gelte, wenn der Energielieferant den Vertrag „wirksam kündigt“.

Der Grundversorger Erenja hingegen weist Gas-Verbraucher im Internet darauf hin, dass sie „bei einer ordentlichen Kündigung beim oder durch den Altlieferanten“ in die Ersatzversorgung aufgenommen werden. Ebenso verhält es sich „bei einer außerordentlichen Kündigung beim Altlieferanten nach einer Preiserhöhung“. Den Unterschied zwischen Grund- und Ersatzversorgung merken Kunden am Preis: 17,34 Cent brutto kostet die Kilowattstunde Erdgas in der Ersatzversorgung seit 1. November – davor waren es 23,76 Cent. In der Grundversorgung werden nur 9,71 Cent berechnet. So wie bei Erenja handhabt es der Konzern auch bei seinen Marken „Westfalica“ und „NGW“.
 

Viele Beschwerden bei Verbraucherzentralen

Die Energietöchter der Gelsenwasser AG sind keine Einzelfälle. „Das ist ein deutschlandweites Problem“, sagt Gregor Hermanni, Energierechtsexperte bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Allein in NRW verzeichnen Verbraucherschützer Beschwerden über mehr als ein Dutzend kommunale Energieunternehmen. „Wir wissen nicht, ob die vielen Beschwerden alle berechtigt sind, aber wir prüfen in Einzelfällen, ob die Zuordnung in die Ersatzversorgung rechtmäßig erfolgt ist.“

Nicht nur auf die Zuordnung zur Versorgungsart richten die Verbraucherschützer ihr Augenmerk. „Aus Transparenzgründen und zum Schutz der Haushaltskunden müssen bei erhöhten Preisen in der Ersatzversorgung die Beschaffungskosten gesondert ausgewiesen werden. Als Kostenmaßstab sind die Preise entsprechend kurzfristiger Börsenprodukte heranzuziehen“, sagt Hermanni. „Ob die Grundversorger die Vorgaben einhalten, werden wir beobachten.“

Die Praxis von Grundversorgern hat auch die Verbraucherzentrale Niedersachsen auf den Plan gerufen. „Uns erreichen aktuell viele Beschwerden von Kunden, die jetzt in der teureren Ersatzversorgung sind, nachdem sie ihren Vertrag mit dem vorherigen Anbieter gekündigt oder auslaufen haben lassen“, sagt die Energierechtsexpertin Julia Schröder. „Dabei sind das Fälle für die Grundversorgung.“
 
Neue Rechtslage

Schröder weist darauf hin, dass sich an der Rechtslage gar nicht so viel geändert hat. Neu hinzugekommen sei im Energiewirtschaftsgesetz die Fallkonstellation, dass Kunden in die Ersatzversorgung rutschen, wenn deren Lieferanten der Netznutzungs- oder Bilanzkreisvertrag gekündigt wird. „Die anderen Zuordnungsordnungskriterien gab es schon bisher.“ Bei der Verbraucherzentrale in Niedersachsen vermutet man hinter falschen Zuordnungen in der Grundversorgerlandschaft unterschiedliche Gründe – von Unwissenheit bis Kalkül.

Anstoß erregt offenbar oft auch der Wechsel aus Ersatz- in die Grundversorgung: „Die Ersatzversorgung ist kurzfristig kündbar, bei mir haben sich eine Reihe Verbraucher gemeldet, deren Versorger einige Wochen benötigt hat für die Umsetzung“, sagt Matthias Moeschler. Moeschler, der die Website Verbraucherhilfe-Stromanbieter betreibt, meint, dass vielen überhaupt nicht bewusst ist, dass sie schnell aus der Ersatz- in die Grundversorgung wechseln können.

Fragen aufwerfen können die Wendungen, die einzelne Beschwerden nehmen. „Eon hat mich gerade begrüßt – mit den Preisen für die Ersatzversorgung. Wie kann ich in die günstigere Grundversorgung kommen?“, fragte vor einigen Wochen ein Nutzer des Forums „Smart Control“ des Energiekonzerns in die Runde und gab an, dass er den Vertrag beim vorherigen anderen Anbieter selber gekündigt hatte. Der Mann sah sich „versehentlich als Geschäftskunde eingestuft“ und wandte sich an die Hotline. Sein letzter Eintrag im Forum: „Der freundliche Mitarbeiter hat mich umgruppiert. Ich bin jetzt als Privatkunde erfasst. Allerdings hat er sich geweigert mich in die Grundversorgung einzustufen.“

Eon betont gegenüber der Redaktion, dass man sich selbstverständlich an die gesetzlichen Vorgaben halte. Und selbstverständlich stehe es Kunden in der Ersatzversorgung „zu jeder Zeit frei, sich kurzfristig, das heißt sogar innerhalb eines Tages, für einen Tarifwechsel zu entscheiden“.

Montag, 7.11.2022, 15:13 Uhr
Manfred Fischer

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