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Tom Weingärtner
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Mittwoch, 07.12.2022, 14:59 Uhr
Klimaschutz
E&M News
Ökonomen fordern pragmatische Energiepolitik
Führende deutsche Ökonomen sprechen sich dafür aus, erst aus den fossilen Energien auszusteigen, wenn die Versorgung durch die erneuerbaren gesichert ist.
In einem Beitrag für den Ifo-Schnelldienst fordern unter anderen der Präsident des Ifo-Institutes, Clemens Fuest, und sein Vorgänger, Hans-Werner Sinn, den Strommarkt weiter zu öffnen und zu flexibilisieren. Die Gasversorgung müsse durch eigene Förderung und neue Pipelines sichergestellt werden. „Angesichts der erheblichen Unsicherheiten über die weitere Entwicklung ist es von zentraler Bedeutung, die Stromversorgung breit aufzustellen und Optionen nicht leichtfertig aus der Hand zu geben.“

Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse ebenso massiv beschleunigt werden wie der Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Kernkraftwerke sollten erst abgeschaltet werden, wenn erprobte und leistungsfähige Anlagen zur Verfügung stünden, „die tatsächlich ohne den Einsatz einer komplementären, CO2-lastigen Regelenergie auskommen“. Deutschland solle enger mit Nachbarländern kooperieren, die bereit seien, in der deutschen Dunkelflaute mit Kernenergie einzuspringen. Dabei könnten allerdings auch neue Abhängigkeiten entstehen.

Die Flexibilisierung des Strommarktes und die Einbindung von dezentralen Erzeugern werde gegenwärtig durch „starre Regulierung und Wettbewerbsbeschränkungen“ behindert. Alleine die Nutzung des „bidirektionalen Ladens“ von Elektroautos könne bis 2030 den Bau von zehn Gaskraftwerken entbehrlich machen. „Das Ziel sollte darin bestehen, im Energiesystem eine Plattformökonomie zu entwickeln.“ Die Stromkosten für die Industrie und die privaten Haushalte könnten dadurch nachhaltig gesenkt werden.

Eine „sichere und preislich wettbewerbsfähige Gasversorgung“ sei von zentraler Bedeutung für die deutsche Industrie. Eine eigene Förderung von Gas durch Fracking könne dazu einen wichtigen Beitrag leisten und die Unabhängigkeit Deutschlands von Gasimporten erhöhen. Neue, umweltfreundliche Verfahren dafür seien schnell einsatzbereit. Außerdem sollten die Gaspipelines nach Norwegen, Großbritannien und innerhalb der EU zügig ausgebaut werden.
 
Zu lange Genehmigungsprozesse beim Netzausbau

Die Genehmigung von Energieprojekten, insbesondere zum Ausbau des Stromnetzes, dauere nach wie vor zu lange. Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Beschleunigung der Genehmigungsverfahren reicht nach Ansicht der Autoren nicht aus. „Benötigt wird eine grundlegende Neufassung der Genehmigungsverfahren.“ Nur unter dieser Bedingung könne auch das Fracking zur Behebung der Engpässe beitragen.

Schließlich erfordere eine „dekarbonisierte, bezahlbare und sichere Energieversorgung“ weiterhin große Anstrengungen in der Forschung und Entwicklung. Die staatliche Förderung solle dabei den Schwerpunkt auf die erneuerbaren Energien, die Energieeffizienz, intelligente Stromnetze und die Speichertechnologie einschließlich des Wasserstoffs legen.

In den nächsten Jahren müssten die kurzfristigen Schwankungen in der Stromproduktion durch Wind und Sonne noch mit fossilen Gaskraftwerken abgedeckt werden. Gas werde aber nicht nur für die Stromproduktion „noch lange wichtig sein. Auch für Heizungen von Wohnungen und in vielen industriellen Anwendungen wird es noch viele Jahre lang eine wichtige Rolle spielen und nur schrittweise ersetzt werden können.“

Sicher, bezahlbar, umweltfreundlich

Um den Wohlstand in Deutschland zu sichern, müsse eine „realistische energiepolitische Strategie“ verfolgt werden mit dem Ziel einer „sicheren, bezahlbaren und umweltfreundlichen Energieversorgung“.

Das Argument, die Arbeitsplätze in der Industrie könnten durch Jobs in weniger energieintensiven Branchen ersetzt werden, lassen die Spitzenökonomen nicht gelten. Der Aufbau einer weniger energieintensiven Wertschöpfung sei zwar möglich, erfordere aber Zeit und sei angesichts des ohnehin stattfindenden Strukturwandels, zum Beispiel in der Autoindustrie, „höchst riskant“. Die Verlagerung der energieintensiven Produktion in andere Länder mit niedrigeren Klimastandards würde außerdem global zu höheren Emissionen führen.

Es gebe keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen energieintensiver Produktion und dem Klimaschutz, weil sie sich zunehmend auf CO2-freie Energie stützen könne. Aber eine Abwanderung energieintensiver Branchen wie der chemischen oder der Metallindustrie, die „grundlegende Bedeutung für fast alle Wertschöpfungsketten“ hätten, könne angesichts wachsender geopolitischer Spannungen neue Versorgungskrisen heraufbeschwören. „Die Wahrung des Wohlstandes in Deutschland erfordert Veränderungsbereitschaft und eine pragmatische Energiepolitik, die ideologische Grabenkämpfe hinter sich lässt.“