E&M Home > E&M Marktplatz > E&M Nachrichten
Quelle: E&M
Susanne Harmsen
© 2024 Energie & Management GmbH
Freitag, 09.09.2022, 08:52 Uhr
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
E&M News
Sparen, knapsen, knausern
Der stete Zustrom preiswerten russischen Erdgases hat Deutschland und andere Länder in falscher Sicherheit gewiegt. Wegen des Ukraine-Kriegs müssen Alternativen her, was teuer wird.
Noch im vergangenen Jahr galt Erdgas als preiswerte und vergleichsweise klimafreundliche Brücke in die Zukunft der Energieversorgung. Der Kernkraft- und Kohleausstieg sollte damit abgesichert werden bis zur Komplettversorgung aus erneuerbaren Quellen. Das ist nun vorbei. „Die Brücke Erdgas ist nicht abgebrochen, aber sie wird deutlich kürzer“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf dem BDEW-Kongress. Und aktuell geht es für die nächsten zwei Winter darum, Deutschland überhaupt sicher zu versorgen.

Denn das Erdgas kam bis zu diesem Frühjahr zu mehr als der Hälfte aus Russland. Leistungsfähige Leitungen sorgten für den verlässlichen Zufluss rund um die Uhr. Sogar eine neue Pipeline durch die Ostsee − Nord Stream 2 − wurde gebaut, obwohl sie den USA ein Dorn im Auge war. Diese wollen lieber ihr eigenes verflüssigtes Erdgas (LNG) per Schiff nach Europa liefern. Durch den Überfall auf die Ukraine und die daraus resultierenden Sanktionen der EU gegen Russland wird dieser Wunsch nun Wirklichkeit.

Energieversorgung sichern ohne Russland

Nach dem EU-Embargo für russische Steinkohle zum 1. August folgt zum Jahresende der Stopp von Erdölimporten aus Russland durch die Westeuropäer. Doch Erdgas ist nicht so leicht aus anderen Ländern zu ersetzen. Die beiden anderen Zulieferer nach Deutschland, die Niederlande und Norwegen, erklärten, das Maximum erreicht zu haben. So kommt hierzulande weiterhin ein Drittel des Erdgases aus Russland. Doch diese Versorgung ist nicht länger sicher. „Putin nutzt Energielieferungen als Waffe“, kommentierte Robert Habeck.

Die deutsche Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom hatte bereits im vergangenen Winter ihre beiden Speicher kaum gefüllt. Im Frühjahr drohte Gazprom Germania insolvent zu gehen, sodass Deutschland die Bundesnetzagentur als Verwalter einsetzen musste, um die Speicher befüllen zu können. Der russische Staatskonzern speiste zudem nicht die üblichen zusätzlichen Gasmengen in den Markt ein, was die Preise steigen ließ. In diesem Jahr hat Gazprom etliche bestehende Verträge nicht mehr erfüllt und einige Länder wie Bulgarien ganz abgekoppelt. Nach Deutschland fließen seit Juli nur noch 20 % der früheren Mengen unter dem Vorwand technischer Probleme.

Das brachte die großen Gasimporteure wie Uniper an den Rand der Insolvenz, weil sie weiter Erdgas zu den langfristig vereinbarten günstigen Preisen liefern, es aber durch den Wegfall der Gazprom-Mengen teuer am Markt nachkaufen mussten. Laut eigenen Angaben macht Uniper derzeit bis zu 100 Mio. Euro Verlust am Tag.

eshalb musste der deutsche Staat das Unternehmen mit 15 Mrd. Euro stützen und ist nun Anteilseigner. Damit wurde verhindert, dass die vielen Gasabnehmer entlang der Lieferkette unversorgt blieben oder durch die extrem erhöhten Preise in Konkurs gehen. Die Mehrkosten sollen ab 1. Oktober durch die Gasumlagen auf Beschaffung und Speicherfüllung auf die Verbraucher in ganz Deutschland verteilt werden.

Das Geld ist jedoch nur eine Seite des Problems. Eine andere ist der Transport des Erdgases nach Deutschland. Das europäische Leitungsnetz ist auf den Transport von Ost nach West ausgerichtet. Darum können Gasmengen zum Beispiel von LNG-Terminals im Süden nicht in ausreichender Menge nach Deutschland geliefert werden. Für Lieferungen per Schiff direkt als Flüssigerdgas muss die Infrastruktur jetzt erst geschaffen werden. Solange das preiswerte Pipelinegas floss, gab es für Terminals in Deutschland kein Geschäftsmodell. Nun werden sie praktisch aus dem Boden gestampft.

Zum Jahreswechsel 2022/23 sollen zunächst über zwei schwimmende Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel Schiffe ihr verflüssigtes Erdgas anliefern können. Zwei weitere LNG-Terminals sollen in Lubmin und Stade entstehen, möglichst schon 2023. Habeck sagte Mitte August: „Mit dem Import von Flüssigerdgas machen wir uns unabhängiger von Importen russischen Pipelinegases.“ Die Kapazität der beiden ersten LNG-Terminals beträgt jährlich maximal 12,5 Mrd. Kubikmeter Erdgas. Das wäre dann rund ein Siebtel des deutschen Bedarfs.

Speichern und Sparen

Für diesen Winter läuft derweil die Füllung der Gasspeicher auf vollen Touren. Die erste Etappe, 75 % Füllstand bis zum 1. September, wurde erreicht. Bis zum 1. Oktober müssen die Speicher zu 85 % gefüllt sein, zum 1. November zu 95 % und am 1. Februar sollen noch 40 % übrig sein. In einem durchschnittlichen Winter kann Deutschland daraus etwa für drei Monate seinen Bedarf decken. Daher die optimistische Zusage der Bundesregierung, es werde niemand frieren müssen, die Wohnungen und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser seien in jedem Fall versorgt.

Für die Wirtschaft kann aber keine Belieferung garantiert werden, schränkte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, ein. Zudem machen die ständig steigenden Preise manche Produktion zum Beispiel in der Glasindustrie schon jetzt unwirtschaftlich. Deshalb führe kein Weg an Sparmaßnahmen vorbei. Das geht allen EU-Ländern so.

Am 9. August trat der europäische Gasnotfallplan zur Vorbereitung auf einen möglichen Stopp russischer Erdgaslieferungen in Kraft. Demnach sollen alle EU-Länder ihren Gaskonsum ab Anfang August bis März nächsten Jahres freiwillig um 15 % senken. Im nächsten Schritt könnte ein Alarm mit verbindlichen Einsparzielen ausgelöst werden. Tatsächlich gelang es in Deutschland schon, etwa 15 % weniger Gas zu verbrauchen, teilte der BDEW für den Juli mit. Natürlich ist das im Sommer leichter als im kalten Winter. Das eigene Sparziel legte die Bundesregierung auf 20 % fest.

Unternehmen versuchen, wieder Öl oder Kohle statt Gas einzusetzen, zur Stromerzeugung wurde der Betrieb von Kraftwerken aus der Reserve ermöglicht. Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff) sieht sogar Möglichkeiten, ohne Komforteinbußen und Produktionsstopps das Sparziel zu erreichen. In der Vergangenheit hätten Heizungsoptimierungen wegen der niedrigen Energiepreise nicht gelohnt. Viele Unternehmen setzten auch die empfohlenen Maßnahmen ihrer vorgeschriebenen Energiesparaudits aus Kostengründen nicht um. Das sei jetzt anders.

Erdgas ersetzen

Energieexperten hoffen, dass die hohen Preise wichtige Signale setzen, fossiles Erdgas abzulösen. Die Erdgasversorgung kostete 2020 laut BDEW einen Durchschnittshaushalt oder Gewerbekunden etwa 6 Ct/kWh. In diesem Jahr hat er sich mehr als verdoppelt auf fast 14 Ct/kWh. Und ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Durch die im August verkündeten Gasumlagen kommen rund 3 Ct/kWh ab 1. Oktober hinzu. Wenigstens hat die Bundesregierung angekündigt, die Mehrwertsteuer auf Erdgas bis zum Ende der Umlagen am 31. März 2024 auf 7 % zu senken. Zudem gab es zum 1. September eine einmalige Energiekostenpauschale in Höhe von 300 Euro.

Davon haben Unternehmen nicht viel, aber die Haushalte. Für sie steigen schon jetzt nicht nur die Energiepreise, auch die Inflation lag im Juli 2022 bei 8,9 %. Können sie ihre Kosten nicht mehr zahlen, leidet die Wirtschaft entsprechend. Für Unternehmen stellte die Bundesregierung bislang Kreditlinien der KfW, Bürgschaftsprogramme, Zuschüsse für besonders energieintensive Unternehmen sowie staatliche Eigenkapitalhilfen für systemrelevante Unternehmen zur Verfügung. Diese Hilfsprogramme würden verlängert, versprach Minister Habeck im August. „Es geht hierbei um den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Aufrechterhaltung von Lieferketten“, sagte er.

Der Ersatz für Erdgas geht nicht über Nacht, aber einige bislang zu teure Alternativen stehen bereit. Mittelfristig ließen sich rund 3 % des deutschen Gasbedarfs durch Biomethan, also aufbereitetes Biogas, decken, analysierten das Deutsche Biomasseforschungszentrum Leipzig und des Wuppertal Institut. Auch ohne Aufbereitung zu Methan könne Biogas bei einer Vor-Ort-Verstromung zur flexiblen Stromproduktion beitragen und fast die Hälfte des aktuellen Stroms aus Erdgas ablösen. Und auch die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen für neue Anwendungen wie Wärmeversorgung oder industrielle Prozesse lohnt sich.
 

Erdgasverbrauch nach Branchen

Der jährliche deutsche Erdgasbedarf lag 2021 bei etwa 90 Mrd. Kubikmeter. 37 % davon verbraucht die Industrie, vorwiegend für Prozesswärme, aber auch als Rohstoff zum Beispiel für Düngemittel und Chemikalien. Etwa 38 % des Gases benötigen die Haushalte für Heizen und warmes Wasser. 13 % nutzen Handel und Gewerbe und aus 12 % wird Strom erzeugt.